■ Möllemann ist der gesamtideelle Liberale: Unter die Räuber gefallen: die FDP
Die Spurensuche ist bereits belanglos. Ob die Briefe von Möllemann selbst diktiert und unterzeichnet oder von subalterner Position aus mit Blanko-Unterschrift gezirkelt wurden – im Ergebnis müßten alle Auslegungen gleich fatal für den Wirtschaftsminister sein. Man täuscht sich aber, sieht man in der Aufregung über Möllemanns Vetternwirtschaft ein ermutigendes Zeichen neuer Nachdenklichkeit in Bonn: Der politische Diskurs über die moralischen Mindestqualitäten hat dort noch immer Hausverbot. Die Rücktrittsforderungen aus Möllemanns eigener Partei sagen deshalb auch nur etwas aus über veränderte Kräfteverhältnisse bei den Liberalen, nicht über eine neue Wahrhaftigkeit. Daß es allein von solcherart Randbedingungen abhängt, ob ein Skandal ein solcher genannt wird, ist der wahre Skandal.
Seit der FDP-Innenminister Maihofer wegen des (von einer nachgeordneten Behörde angeordneten) Lauschangriffs auf den Atom-Kritiker Traube von sich aus zurücktrat, ist die FDP unter die Räuber gefallen. So darf ein wegen Steuerhinterziehung verurteilter Graf Lambsdorff Parteivorsitzender sein – und mußte seinen Ministersessel erst räumen, als die Staatsanwaltschaft trotz eifrigen Bemühens nicht mehr von einer Anklageerhebung abzubringen war.
Die Briefbogen-Äffäre des Wirtschaftsministers, der seine Behörde vor allem als PR-Agentur in eigener Sache genutzt hat, beleuchtet erneut den erbärmlichen Zustand der Partei. Die FDP hat nahezu jeden Anspruch aufgegeben, auf den klassischen Feldern liberaler Politik glaubwürdig und kompetent zu sein. In der Rechtspolitik stimmt man dem Großen Lauschangriff zu und heult mit den Asyl-Wölfen. Das Wirtschaftsministerium ist längst zur wohlfeilen Pfründe der Dilettanten und begabten Intriganten verkommen. Konzepte gegen die ökonomische Katastrophe in Ostdeutschland erwartet von dieser Behörde niemand mehr. Abgeschmettert hat der Parteitag im Herbst jedes sozialliberale Neudenken zugunsten einer beinharten Marktwirtschaft, mag dies auch die ostdeutschen Parteimitglieder aus der Partei treiben. Die Parteispitze ficht das nicht an, sie trifft vielmehr der gerichtliche Aneignungsstopp des Millionenvermögens der DDR-Blockparteien LDPD und NPDP. Dabei war der FDP-Spitze kein juristischer Winkelzug zu dubios, um sich als Erbe zu maskieren. Genau dieses Umfeld hat dem derzeitigen Wirtschaftsminister zum Erfolg verholfen. Möllemann, dem jeder Inhalt beliebig ist und der einer düpierten Öffentlichkeit vormachen kann, wie man um einen selbst angekündigten Rücktritt herumkommt, verkörpert längst den gesamtideellen Liberalen. Es mag dem Kanzler recht sein, mit einem solchen wehr- wie skrupellosen Partner zu reagieren. Doch wenn Möllemann nicht geht, ist die FDP endgültig bei den Urgründen des Liberalismus angekommen: dem nachdrücklichen Streiten für die von staatlicher Reglementierung ungehemmte Bereicherung des Gewitzten. Gerd Nowakowski
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