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Modellprojekte gegen VernachlässigungKinder müssen früh geschützt werden

Damit Kinder nicht vernachlässigt oder misshandelt werden, sollen Mütter und Väter frühzeitig angesprochen werden. Ärzte und Hebammen haben den besten Zugang zu Risiko-Eltern.

Schon in der Schwangerschaft sollte der Arzt Problemmütter unterstützen. Bild: photocase/soundboy

Auf der Broschüre knabbert ein Baby fröhlich an der Nase seiner Mutter. Liebe, Ruhe, Zufriedenheit strahlt das Foto aus. Solche Flyer des Projekts "Pro Kind" sollen Eltern ansprechen, die das Leben mit Kind als anstrengend und überfordernd empfinden. "Dieses Projekt wäre vielleicht etwas für Sie", würde der Gynäkologe im besten Fall zu einer schwangeren Frau sagen, von der er vermutet: Sie hat wenig Geld und große Angst.

Mit ihrer Einwilligung würde eine Woche später eine Hebamme oder Sozialarbeiterin vorbeikommen, die sie bis zum zweiten Geburtstag des Kindes wöchentlich oder vierzehntäglich betreut. In Niedersachsen, Bremen und Sachsen werden mehrere hundert Frauen durch "Pro Kind" so begleitet. "Pro Kind" ist eines von zehn Modellprojekten, die das Bundesfamilienministerium seit zwei Jahren finanziell fördert, damit Risiko-Eltern frühzeitig unterstützt werden. Ein Zwischenbericht des "Aktionsprogramms Frühe Hilfen", das über 11 Millionen Euro Budget verfügt, zeigt: Besonders gut kann man gefährdete Eltern über das Gesundheitswesen erreichen, also über Geburtenkliniken, Gynäkologen und Hebammen.

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen sagte am Montag: "Den entscheidenden Zugang zu den Eltern haben wir rund um die Geburt." Hier müssten Fachleute routinemäßig fragen: Wie ist die Situation der Mutter? Es gelte, früh Risiken wie Überforderung der Eltern oder Armut zu erkennen. "Das kann ein Kinderleben retten."

Die Zahlen sind erschreckend. Derzeit werden laut Schätzungen 5 bis 10 Prozent aller Kinder vernachlässigt, das heißt, sie bekommen nicht ausreichend Essen, saubere Kleidung oder werden von ihren Eltern in der Wohnung lange allein gelassen. 10 bis 15 Prozent der Eltern wenden körperliche Bestrafungen an. Und - der Extremfall - jährlich werden rund 80 bis 120 Kinder bis fünf Jahre Opfer eines Tötungsdelikts. "Besonders gefährdet sind die ganz Kleinen", sagte Familienministerin von der Leyen. Die Täter seien zu zwei Dritteln die Mütter, zu einem Drittel die Väter oder Partner der Frau. Das sei nur die Spitze des Eisbergs, die wahrgenommen werde, sagte die Ministerin.

Parallel zu den Modellprojekten hat das Bundesfamilienministerium deswegen eine Analyse bei der Universität Ulm in Auftrag gegeben. Sie soll zeigen, an welcher Stelle Behörden und Institutionen versagt haben, so dass ein Kind verwahrlost, misshandelt oder gar getötet wurde. Jörg Fegert, Ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Ulm, hat dafür jüngst bekannt gewordene Fälle von Verwahrlosung, Missbrauch und Tötung untersucht. Die Fehlerliste, die sich ergab, ist lang: Bearbeiter lesen oft nur die Akten, anstatt Kinder persönlich zu besuchen. Die Vorgeschichte der Eltern, etwa Suchtprobleme oder Gewalt in der Kindheit, wird nicht genau abgefragt. Ämter verlassen sich auf Berichte aus zweiter Hand. Sachbearbeiter horten die Informationen über gefährdete Kinder - wird jemand krank oder macht Urlaub, fällt das Kind durchs Raster. Ärzte verstehen ihre Schweigepflicht falsch und melden gefährdete Kinder nicht. "Diese typischen Fehler liegen oft im System", sagte Fegert. Das führe dazu, dass am Ende eine Person versagt.

Damit solche Fehler verhindert werden - und sich Behörden auch trauen, sie zu melden, sollen Fachleute in einem weiteren Regierungsprojekt ab 2009 Städte und Landkreise vertraulich bei der Analyse ihrer Fehler unterstützen. Man dürfe nicht Einzelne an den Pranger stellen, sondern müsse aus den Fehlern lernen, damit das "nächste Kind gerettet wird", sagte von der Leyen.

Bei der Betreuung gefährdeter Frauen durch "Pro Kind" sollen Versäumnisse von Behörden rechtzeitig aufgefangen werden. Wichtig sei vor allem, in den Hausbesuchen mit den Frauen nicht nur über Alltagsprobleme zu sprechen, sondern eine Lebensperspektive zu entwerfen - etwa, wie eine Ausbildung mit Kind funktionieren könne, sagt Anna Maier-Pfeiffer von "Pro Kind" in Niedersachsen. "Unsere Familienbegleiter erinnern gefährdete Mütter vor allem an ihre Stärken."

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3 Kommentare

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  • HB
    Holger Bauer

    Endlich bewegt sich etwas für die Kinder in unserer Gesellschaft. Man muss ich aber fragen, warum diese Vorgehensweise, die eigentlich normal sein sollte, bis jetzt nicht durchgeführt wird. Das Bundesfamilienministerium stellt zwar hohe Ansprüche, doch wer es bezahlen soll bleibt erstmal unbekannt. Selbst in diesm Bereich tätig kann ich nur sagen: Wir brauchen gut ausgebildete Sozielarbeiter die in Ruhe ihre Fälle bearbeiten können und nicht gehetzt Hilfepläne abwickeln. Meist ist man noch unter Druck gesetzt von Kostenstellenleitern, die auf Einhaltung der geplanten Ausgaben bestehen und dem zuständigen Sachbearbeiter das Leben bzw. die Arbeit zur Hölle machen. Der tariflich gebundene Lohn eines Sozialpädagogen/Sozialarbeiter liegt bei 2068,- brutto. Auf diese Weise hat der Bearbeiter auch meist damit zu kämpfen seine eigene Familie vor der Armut zu schützen. Bei drei eigenen Kindern kann schon zum eigenen Gehalt noch ALG II beantragen, um sein Existenzminimum zu erhalten.

    Die Vorschläge sind gut. Die Programme sind schon lange überfällig. Doch in welchem System Personen Hilfe leisten sollen bleibt im Dunkeln. Das Motto: Die Kommune wird es schon richten und wenn etwas passiert ist der Spzialarbeiter schuld.

    Nichts anderes lese ich hier auch wieder. Ein wenig mehr kritische Betrachtung hätte ich mir in diesem Artikel gewünscht!

    Mit freundlichen Grüssen,

    Holger Bauer

  • R
    richtigbissig

    Wichtig erscheint mir zunächst, dass die Institution Jungendamt aufgelöst wird und einer demokratischen, rechtstaatlichen Kontrolle unterzogen wird. Wenn Armut ein Grund ist, Kinder zu vernachlässigen, dann stelle ich mir die Frage, wieso ein Kind, das in die Obhut des Jugendamtes genommen wird, mit 4000Euro pro Monat zu Buche schlägt. Armut ist kein unabänderliches Schicksal, gleiche Chancen für Migranten ist das Thema und nicht "wie stehlen wir Kinder". Erziehung von Kindern ist das natürliche Recht der Eltern, wir als Gesellschaft müssen alles dazu tun, um dieses Grundrecht zu schützen und dauerhaft zu erhalten. Es ist eine Schande, Migranten bei Bildung, Arbeitssuche und vor Gericht zu benachteiligen und nun die verursachten Probleme nicht zu beheben, sondern im Widerspruch zum Grundgesetz das Recht der Eltern auf Erziehung indirekt zu untergraben. Deutschland soll endlich aufhören Menschenrechte zu verletzten und alle UN-Kinderrechte anerkennen.Die Verurteilungen Deutschlands durch den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sollte unsere Familienministerin ja kennen, es ist unerträglich.

  • R
    radex

    2/3 aller Täter sind die leiblichen Mütter. Bleibt die Frage weshalb es so ist. Verfassungsgerichtsurteil im Interesse des Kindeswohls sein soll, wenn diese ohne Trauschein das alleinige Sorgerecht haben?