Mode in der Hauptstadt: Glasnost am Bein

■ Ein privater Modemacher peppt die Ost-Berliner Modeszene auf / „Wer zu uns kommt, fragt nicht nach dem Preis!“

Der Knabe trägt zu knackengen Jeans und schwarzem Muskel -Shirt nur braungebrannte Haut, vor der Brust baumelt eine Sonnenbrille. Die Dame daneben steckt im superkurzen Mini, streicht sich die lange Mähne aus der Stirn, trägt an den Ohren dicke Messingklunker. „Hallo“, flötet sie, haucht ihm ein Küßchen auf die straffe Wange. Die Show auf der Bühne interessiert zunächst nicht: Vor der Schau auf dem Laufsteg steht der Auftritt im Parkett. Bei der alljährlichen Modenschau des Ost-Berliner Schneiders Uli Haase treffen sich die Schickimickis des Sozialismus.

„Die kannste mit denen im Westen austauschen, das fällt gar nicht auf“, flüstert ein junger Ost-Berliner seiner Freundin zu. Es ist Samstag abend, das Zelt am sowjetischen Ehrenmal ist brechend voll. Die Szene Ost wohnt einer Premiere bei. Einmal im Jahr zeigen der 33jährige Modemacher Haase und sein Designer Thomas Greis statt Einheitsstaat „Mode nach Maß“: Schlitze bis zur Hüfte, Minis bis zum Po. Und statt Information für den sozialistischen Kunden wabern Nebel, wandeln Damen. Gleich zu Anfang fallen zwei Grazien unter Orgelklängen, wallen knielange Ledercapes, schwellen Knickerbocker. Statt Viskose und Elaste gibt es hier Seide, Spitze und Chiffon.

Die Herren - mit Drei-Tage-Bart, versteht sich - tragen Leder vom Hals bis zum Knöchel, Weste inklusive. Als wenn sie vergessen hätten, daß Leder in der DDR extrem rar ist, einfache Schuhe an die 200 Mark kosten. Ein Modell trägt über der Wildlederhose zusätzlich noch lederne Hot-pants. „Wie die das Leder zusammenbekommen, det möcht‘ ich wissen“, seufzt ein Zuschauer. Schwierig, sagen die Modemacher. Erste Wahl sei so gut wie nie zu bekommen. Deswegen werde viel gestückelt, daraus ein eigener Stil entwickelt: Lederstreifen, kombiniert mit glänzendem Brokat über leichtem Chiffon.

Was die Kleider kosten? „Wer zu uns kommt, fragt nicht nach dem Preis“, sagt Designer Greis. Die Leute nähmen monatelange Wartezeiten für ihr Leder-Outfit in Kauf. Denn trotz des Andrangs arbeiten neben Haase nur fünf Näherinnen und ein Schneidermeister an den Modellen - die Obergrenze für private Betriebe.

Was Ost-Berlins Modewelt zu Begeisterungsstürmen hinreißt, ist rein private Initiative. Vor fünf Jahren noch hauste Haase in einem kleinen Kabuff unterm Dach - Wohnung und Atelier in einem. Dann erhielt er Geschäftsräume in Karlshorst. Seitdem wird dort geackert. Obwohl die Modelle teuer sind - ein pelzgefütterter Ledermantel etwa kostet 8.000 Mark, ein Herren-Lederanzug an die 2.000 - stehen die Leute Schlange. Ohne telefonische Terminvereinbarung wird noch nicht einmal Maß genommen. Dabei verdient ein DDR -Bürger im Durchschnitt knapp 1.000 Mark im Monat.

Und doch sind die Maßkleider von Haase und Greis oft billiger als die gehobene Kollektion, die die DDR ihren Bürgern in den „Exquisit„-Läden bietet. Viele kaufen nur noch in diesen teureren Läden, weil ihnen das Angebot der Kaufhäusern nicht zusagt. „Eigentlich ist das reine Materialvergeudung. Das hängt dort doch nur als Ladenhüter rum“, ärgert sich ein Besucher der Modenschau. „Der Bedarf für solche Mode wie hier wäre da.“

Die Modenschau im Zelt kostet nach Auskunft von Designer Greis 50.000 Mark, eine Kollektion an die 90.000 Mark, obwohl die Mannequins bei der Premiere unentgeltlich auftreten. „Das macht den Leuten hier so viel Freude“, sagt Greis strahlend. „Man darf nicht einfach aufgeben.“ Dabei steht ihm die DDR-Textilindustrie abwartend, wenn nicht ablehnend gegenüber. Vorwurfsvoll erzählt der Conferencier der Modenschau, immer wieder hätten Haase und Greis der Industrie angeboten, Lizenzen zu nehmen, Modelle für größere Stückzahlen zu entwerfen: „Bis jetzt ist das Echo ausgeblieben.“ Dabei näht Haase Kleider, die vor allem Jugendliche begeistern: Hautenge Minis in Neonfarben, ein Ärmel rot, der andere grün; das Kleid gelb und lila, dazu grellgrüne Schnürsenkel und als Accessoire eine Taucherbrille in Pink. (jaja, mini mit ärmeln und kleid mit schnürsenkeln, wat et nich allet jibt drüben. d.s.in)

Ob das Echo auch ausbleibt, wenn die Modenschau nach Moskau geht, ist fraglich. Am 30.Mai vertritt dort bei der Woche „Berlin grüßt Moskau“ nicht etwa das staatliche Modeinstitut die DDR, sondern Haases private Kollektion.

Wenn schon nicht Glasnost in der Politik, so bietet die DDR doch Glasnost am Bein: Viele Besucher konnten gar nicht so weit gucken, wie die Schlitze lang waren. Daß den Russen das gefällt, ist bereits geklärt. Als Rahmenprogramm für die Modenschau lud Haase das Musikkorps der in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte aus Eberswalde. Für 1.000 Mark sangen die Soldaten in voller Uniform von „Kalinka“ bis „Am Wolgastrand“ aus Leib und Seele. Hinter der Bühne klatschten sie begeistert Beifall. Einer aus Swerdlowsk meinte zwar skeptisch, das sei ja nun wohl „die Mode des 20.Jahrhunderts“. Doch was er seiner Freundin mitbringen würde, war ihm vollkommen klar - einen Mini.

Anette Ramelsberger/ ap