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Moby Christ Superstar erfindet den Starkult für Techno

■ Hafenkonzert: „Moby“ und „The Prodigy“ ließen sich in der Fährweghalle verehren

Auf dem AG Weser-Gelände, wo einst Schiffe gebaut wurden, soll schon seit einiger Zeit Kultur gemacht werden. Finanziell stellte sich das besonders bei ungewöhnlicheren Projekten wie dem Lichthaus, in dem ambitioniertere Unternehmungen letztendlichen schnöden Tanzparties weichen mußten, als schwierig heraus. Drum setzt man nun bei der Fährweghalle ganz auf die zahlungskräftige Jugend, die sich zum monatlichen Dance-Doppel-CD- Sampler gerne noch die zugehörige Kleidung und das Live-Event leistet. So war ein Techno-Rave mit „Moby“ und „The Prodigy“ am vergangenen Samstag der Auftakt für eine Reihe ähnlicher Nummer- Sicher-Veranstaltungen in der zugigen Halle; Gewagteres plant man derzeit nicht.

Techno, das ist diese Musik, die erst einen Sinn ergibt, wenn man sie laut und öffentlich hört. So fingen einige Anhängerinnen – vor Vorfreude kichernd – bereits in der Straßenbahn an, ihre Taschentücher in schmale Streifen zu reißen, auf daß sie in kleine Mädchenohren passen würden, wenn es hart auf hart käme.

Das weit geöffnete Hallentor ließ jedoch die Lautstärke ebenso gut raus wie die Kälte rein, so mußte auch der letzte Muffel tanzen, wollte er nicht erfrieren. Und zum Tanzen bot „Moby“ reichlich Gelegenheit. Der vegane Techno- Philosoph, der seine CD-Booklets lieber mit Statistiken über Tiermißhandlungen anstatt Song-Texten füllt, zeigte, daß seine Musik live durchaus machbar ist. Wie ein Derwisch sprang er zwischen E- Schlagzeug und diversen anderen Maschinen umher und improvisierte über den statischen Beats wie ein echter Musiker, während ein tatsächlich echter Schlagzeuger im Hintergrund für zusätzliche Lebendigkeit sorgte. „Moby“ steht einerseits auf Meerestiergesänge und „Twin Peaks“-Samples, andererseits steht er im „Guiness-Buch der Rekorde“, weil er den schnellsten Song der Welt aufgenommen hat. Zu den weiß-der-Teufel-wievielen Beats pro Minute konnte natürlich niemand tanzen, aber eine nette schlitzohrige Idee war es. Bei der Hallenakustik wußte man freilich nicht mehr, ist es „Moby“, oder ist es „Napalm Death“. Außerdem räumte der dürre New Yorker mit dem Aberglauben auf, Techno hätte den Starkult in der Musik abgeschafft. Wenn er kerzengerade mit ausgestreckten Armen auf seinem Podest stand, war das vielleicht keine bewußte Jesus-Pose, sah aber verdächtig danach aus. Einer seiner Jünger blickte ganz verzückt auf die Rückseite seiner Eintrittskarte; er konnte noch gar nicht fassen, daß der echte Moby dort eine echte Zeichnung draufgemalt hatte.

Die Begeisterung schlug Wellen. Tanz-Teenies in quietschenden Signalfarben feierten mit zotteligen Punks, Metalheads, etlichen Grunge-Bärtchen-Trägern und Gestalten, die nur die nötigsten Löcher in ihr Latex geschnitten hatten. Spalten ließ sich die glückliche Masse höchstens in die Bierstand- Fraktion (links) und die Energy-Drink-Stand- Fraktion (rechts), aber zu mehr als lieb gemeinten kleinen Spötteleien kam es nicht.

Leider stellte sich der heiß ersehnte „Prodigy“-Auftritt deutlich nach Mitternacht als dumpfes Halbplayback-Gestampfe mit live gebrüllten Durchhalte-Parolen heraus. Mehr noch als Moby inszenierten sich die vermeintlichen Stars des Abends als Ikonen, während ihre bizarre Bühnendekoration im Dunkeln herumstand und die altbackene Lichtshow unmotiviert in die Gegend leuchtete. Einige tanzten dann in Richtung Ausgang, aber die meisten blieben und kreischten. Und wenn sie nicht nach Hause gegangen sind, dann kreischten und tanzten sie vermutlich hinterher noch bei der Afterhour im Tivoli.

Andreas Neuenkirchen

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