Mittelalter neu schreiben: Den Gründungsmythen auf der Spur
Eine Ausstellung des Archäologischen Museums Hamburg über die Hammaburg kippt ein paar Schulbuchweisheiten. Dafür gibt es eine Erklärung für das Stadtwappen.
taz | Hamburg heißt nach der Hammaburg. Und die wurde um 800 von Karl dem Großen gegründet. Das sind schöne, klare Aussagen. Die Kaiserstatuen in der Stadt, die Bilder von Hugo Vogel im Rathaus und die alten Chroniken bestätigen sie. Dabei ist diese schöne Geschichte reichlich fiktiv – genau wie auch die Hafengeburtstagsfolklore aufgrund des gefälschten Freibriefs von Kaiser Barbarossa von 1189.
Eine Ausstellung in Harburg – das dortige Helms-Museum ist auch das Hamburger Museum für Archäologie – versucht jetzt, etwas Klarheit in die Abläufe um die Hammaburg zu bringen und erzählt von neuem die uralte Geschichte um Sachsen, Franken und Wikinger, um Kaiser und Erzbischöfe sowie um den ewigen Streit mit Bremen.
Immer wieder muss die Geschichte korrigierend neu geschrieben werden: Durch Forschungen vor Ort und durch Vergleiche mit ähnlichen alten Burganlagen, durch langwierigen Abgleich alter Urkunden. So gibt es eine Urkunde vom Sohn Karls des Großen, Kaiser Ludwig dem Frommen, die die Hammaburg als Hauptstadt Nordelbiens nennt. Die ist von 834. Leider ist auch diese nach Meinung der meisten Forscher eine Fälschung – ein damals durchaus übliches Verfahren, Ansprüche rückwirkend zu legitimieren.
Denn es ging ja um viel: für Hamburg und Bremen um die Unabhängigkeit vom Erzbistum Köln und um den Plan, ein christliches Zentrum für ganz Skandinavien entstehen zu lassen. Um zu klären, ob es reale Spuren von den Anfängen der Stadt gibt, wurde schon viermal auf dem Domplatz im Zentrum der Stadt gegraben: 1938, 1949–56, 1980–87 und zuletzt 2005–2007.
Demnach ist Hamburg sogar älter, als es die üblichen Quellen behaupten. Nicht weil auch frühsteinzeitliche Pfeilspitzen gefunden wurden, deren Alter etwa 13.000 Jahre beträgt. Aber vor der immer herbei zitierten fränkischen Burgsiedlung gab es bereits ab dem 7. Jahrhundert am gleichen Ort eine sächsische. Für eine Burg reichte damals ein Graben, ein Erdwall und ein hölzerner Palisadenzaun. Oder es reichte eben auch nicht: 845 wurde alles, was da auch war, von den die Elbe heraufgekommenen Wikingern zerstört.
Was jetzt die Ausstellung leistet, ist dies: Die Ergebnisse aller bisherigen Forschung werden erstmals in eine sinnvolle Chronologie eingeordnet, die Funde werden mit besser erhaltenen Vergleichsobjekten von 30 anderen Leihgebern und Museen anschaulich gemacht und der Zeitraum von 700 bis 1300 mit seinen Visionen und Rückschlägen im Hamburger Raum wird verständlich präsentiert – dabei werden vorhandene Zweifel mit vielen „Pro und Contra“-Tafeln nicht verschwiegen.
Einige Schulbuchweisheiten müssen umgeschrieben werden. Hamburg hatte nichts mit Karl dem Großen zu tun. Und der große Ansgar, der Missionar des Nordens, war nur kurz hier. Auch war die Siedlung kein Erzbistum. Das errichtete erst Papst Formosus 895 für Hamburg und Bremen. Es gab keine Doppelgrabenanlage, sondern zwei aufeinanderfolgende Ringbefestigungen – eben die frühe sächsische und die spätere fränkische.
Der beide umrundende viel größere Wallgraben ist nicht die Hammaburg, sondern die Domburg um 900. Und die bisher nicht gefundene kleine Kirche Ansgars stand, im Vergleich mit zeitgleichen anderen Anlagen gar nicht so unüblich, wohl außerhalb der Befestigung. Computer-Animationen zeigen in der Ausstellung die nunmehr angenommene Entwicklung.
Vielleicht gibt es bald auch neue Erkenntnisse für das 11. Jahrhundert. Denn aktuell wird in der „Neuen Burg“ gegraben. Die Anlage lag weiter im Westen in einer Alsterschleife bei der heutigen Nicolai-Kirche und wurde um 1066 von dem Billungerherzog Ordulf errichtet. Mal sehen, was der Boden hergibt, bevor er wieder neue Bürohäuser tragen darf.
Dass bei den Domplatz-Grabungen auch Spuren des ab 1804 abgerissenen gotischen Marien-Domes auftauchten, ist kaum verwunderlich. Die hier gezeigten 15 Bruchstücke bunter Fliesen erzählen eine eigenartige Geschichte: 964 wurde Papst Benedikt V. ins Exil nach Hamburg verbannt und starb hier ein Jahr später. Die Geschehnisse, vor allem seine genaue Grablege sind im Detail nicht klar. Aber die gefundenen Fliesen sind die letzten Reste von einem, aus einem barocken Kupferstich bekannten Grabmonument, das erst lange nach Benedikts Tod, etwa um das Jahr 1300 im Dom errichtet wurde.
Neues verkündet die Ausstellung auch über die Bischofsburg, den Steinkreis von 19 Meter Durchmesser, der bis heute als Außenstelle des Museums vor Ort in einem Café neben der Petrikirche zu sehen ist. Wurden diese Ruinen bisher für das in Chroniken 1074 erwähnte „Steinerne Haus“ des Erzbischofs Bezelin-Alebrand gehalten, datieren neue Grabungen von 2008 die Anlage nun deutlich jünger auf das 12. Jahrhundert.
Demnach ist es kein Wohnturm, sondern einer von zwei Rundtürmen eines wehrhaften Tores an der immer schon als Ost-West-Achse genutzten Steinstraße. Es diente als Durchlass am dort nachgewiesenen einstigen „Heidenwall“, einer über Jahrhunderte bestehenden Wall- und Graben-Sicherung des Geestsporns nach Osten, der der größeren mittelalterlichen Stadtbefestigung vorausging.
Gleichwohl bleiben diese Findlingssteine bedeutend: Sie könnten zu eben dem eindrucksvollen Tor gehören, das als Motiv für das ab 1304 nachweisbare Hamburger Stadt-Wappen gedient hat: zwei runde Türme, ein Tor und in der Mitte dahinter der Kirchturm des Doms.