: Mitgliedschaft wider Willen
■ Der Arbeiter-Samariter-Bund leidet unter Mitgliederschwund / Sittenwidrig eingeworbene Mitgliedschaften werden nun storniert
Frau Elena Hein ist Rußlanddeutsche. Seit rund vier Monaten lebt sie in Bremen. Seit einer Woche ist sie Mitglied beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Deutschland e.V. Wider Willen. Denn was der ASB ist, weiß die junge Frau nicht. Das Wort „Verein“ versteht sie nicht. Wer sich mit Elena Hein verständigen will, sollte russisch sprechen oder eine Dolmetscherin dabei haben.
Der Mann, der am 27. September an ihrer Hautür klingelte, brachte nichts von beidem mit. Stattdessen schwenkte er ein paar Blatt Papier und redete auf deutsch. „Schnell und viel“, berichtet Elenas Mann später. Aber da hatte seine Frau dem fremden Herrn schon wie gewünscht die Formulare unterschrieben. Um ihn loszuwerden.
Daß sie mit der Unterschrift auch ihr Geld loswerden sollte, war der Sozialhilfeempfängerin nicht klar. Ebensowenig, daß sie ihre Mitgliedschaft widerrufen könnte. Allerdings: ein Datum steht ohnehin nicht auf dem Vertrag, den der ASB-Helfer H. mit der Nummer 657943 gegenzeichnete – und der zum Bankeinzug vorsorglich schon drei Tage später ermächtigt. Zum 30. des Monats.
Erst fünf Tage später fliegt der Vertragsabschluß auf, dem auch Handelskammerjustitiar Hermann Krauß „Sittenwidrigkeit“ nahelegen würde. Elena Heins Mann konsultierte mittlerweile seine Deutschlehrerin Renate Dirks. Was das Wort „Beitrittserklärung“ bedeute, wollte er wissen. Und wer oder was der ASB sei. Die Deutschlehrerin war empört über die Geschichte, die sie erfuhr. Die Werbepraxis des ASB sei Geldschneiderei, sagt sie. „Leute wie die Heins sind solchen Drückern doch hilflos ausgeliefert.“ Häufiger höre sie von überteuerten Tür-zu-Tür Verkäufen an Rußlanddeutsche. Von Lamadecken und Topfsets für 1.500 Mark etwa. „Dagegen können sich die Ahnunglosen nur schwer wehren, wo sie doch sowieso gerne am Wohlstand partizipieren würden“.
Auch die rußlanddeutsche Nachbarin der Heins, Erna Riffel, ist auf die Werber hereingefallen. Sie kennt weitere, die ebenfalls unterschrieben haben. Von Tür zu Tür, von einer Übersiedlerfamilie zur nächsten habe der Mann sich durchgeklingelt. „Ich verstand, daß es um eine einmalige Spende geht. Da habe ich für 20 Mark zugestimmt“. Sorgfältig wählt die zierliche Frau die deutschen Worte. Das Geld sei für einen Kindergarten der ASB in der Siedlung bestimmt, hatte sie verstanden. „Ich wollte helfen“, sagt sie. Erst als der Ehemann heimkam, habe sie begriffen, daß es um 20 Mark monatlich ging. Undenkbar für die Familie, die von Sozialhilfe lebt. Nun wartet sie darauf, daß ihre telefonische Kündigung schriftlich bestätigt wird.
Man werde die ungewollten Mitgliedschaften auf telefonischen Wunsch unbürokratisch stornieren, versicherte auf Anfrage mittlerweile Volker Hinte, Assistent des Bremer ASB-Vorstandes. Tatsächlich habe es sich bei den WerberInnen in der Grambker Siedlung um ASB-HelferInnen gehandelt, sagt er. Weil der Verein einen dramatischen Mitgliederschwund verzeichne, habe man seit April eine Agentur mit der Mitgliederwerbung beauftragt. „Aber manche Werber erzählen die dollsten Geschichten“, gibt er zu. Nun werde man das Gespräch mit der beauftragten Firma suchen.
ede
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen