: Miteinander Ringen will nicht gelingen
Südkorea und Nordkorea haben sich des Öfteren über den Sport angenähert. Aber ausgerechnet beim verbindenden Ssireum, einer alte Form des Ringens, herrscht Funkstille
Aus Mungyeong Felix Lill
Als der Champion feststeht, jubelt die ganze Halle. In einem knappen Kampf hat der Mann im blauen Tuchgürtel seinen Gegner in Rot von den Beinen gerissen, womit das Duell entschieden war. Kurz danach schwenken Scheinwerferlichter durch die Arena, gefolgt von Feuerwerk. Und jetzt fährt der Sieger, ein Mann aus dem geografischen Zentrum Südkoreas, gekleidet in einen edlen Umhang auf einer Art Thron mit Rollen durch die Halle.
Diese jahrtausendealte Kampfdisziplin, ist voll von altnationaler Symbolik: Die beiden halbnackten Ringer, die sich auf einem runden Kampffeld aus Sand begegnen, tragen Stoffgurte in roter und blauer Farbe – so wie sie jeweils in den Flaggen Nord – und Südkoreas zu sehen sind. Die Ringseiten, von denen die Kämpfer starten, sind nach koreanischen Bergen benannt. Die Schiedsrichter tragen Trachten, wie man sie von alten koreanischen Gemälden oder historischen Dramen kennt. Koreanische Tradition.
Nur fällt bei diesem nationalen Turnier in Mungyeong, im Zentrum Südkoreas, auch etwas Seltsames auf: Unter den Ringern, dem anfeuernden Publikum und den händeschüttelnden Offiziellen sind ausschließlich Menschen aus Südkorea zu finden. Fragt man nach, ob es auch mal Ssireum-Kämpfe mit Athleten aus Nordkorea gebe, kommen abweisende Reaktionen. Das Thema sei „heikel“, heißt es. Über Nordkorea zu sprechen, wo Ssireum zwar ebenso Traditionssport ist, ist tabu.
Verständlich einerseits, Nord- und Südkorea sind verfeindet. Doch gerade hier verwundert die Zurückhaltung: Denn während Nordkorea ein diktatorischer Einparteienstaat ist, versteht sich Südkorea als liberale Demokratie mit Presse- und Meinungsfreiheit. „Die politischen Umstände sind im Moment zu schwierig“, winkt ein stämmiger, älterer Herr flüsternd ab. Er stellt sich mit dem Namen Brian vor, ist in Südkoreas nationalem Ssireum-Verband für internationale Angelegenheiten zuständig. Es hätte doch sowieso keinen Sinn, gibt er zu verstehen. Da sei das nordkoreanische Atomprogramm, das sich auch auf den Süden richtet. Und die südkoreanischen Militärmanöver mit den USA, die hier zahlreiche Militärbasen führen. Was solle man sich da austauschen?
75 Jahre ist es her, als zwischen den seitdem verfeindeten Staaten nördlich und südlich der innerkoreanischen Grenze ein Krieg ausbrach. Die Grenzregion entlang dem 38. Breitengrad wird de-militarized zone genannt, entmilitarisierte Zone, ist in Wahrheit aber die wohl am stärksten bewaffnete Grenze des Planeten. Kontakt mit Menschen des je anderen Koreas ist den Leuten verboten.
Aber auf der koreanischen Halbinsel ist es in der Vergangenheit immer wieder der Sport gewesen, der die Bruderstaaten zumindest zu Gesprächen bringen konnte. Zuletzt gelang das bei den Olympischen Winterspielen 2018 im südkoreanischen Pyeongchang: In einer angespannten Lage schaffte es Südkoreas Präsident Moon Jae-in, eine Delegation aus Nordkorea in den Süden einzuladen.
Bei der Eröffnungsfeier liefen Athletinnen gemeinsam in die Olympiaarena – und dies auch noch unter einer hellblauen Wiedervereinigungsflagge, die die Silhouette der gesamten Halbinsel zeigte. Beim Eishockeyturnier der Frauen trat gar ein gesamtkoreanisches Team an. Kim Yo-jong, die Schwester von Nordkoreas Diktator Kim Jong-un, reiste in den Süden und übergab Südkoreas Präsident Moon einen Brief.
Die Spiele von Pyeongchang 2018 waren aber nicht der erste politische Sportcoup. 1991, zu Ende des Kalten Krieges, traten Nord- und Südkorea gemeinsam bei der Tischtennis-WM an, ebenso bei einem Jugendturnier im Fußball. 2011 siegte ein gemischtes Tischtennis-Doppel bei einem internationalen Einladungsturnier.
„Ssireum wäre wirklich besonders symbolträchtig für Austausch“, sagt Yoon Mee-hyang, eine linksliberale Politikerin und Aktivistin, in ihrem Büro in Seoul, Hunderte Kilometer nördlich von Mungyeong. „Es würde eben auf beiden Seiten der Grenze darauf hinweisen, dass wir im Norden und Süden dieselben Ursprünge, Traditionen und auch dieselben Interessen haben!“ Yoon, die selbst gern Ssireum im Fernsehen verfolgt, würde sich über ein Match zwischen Athleten aus Nord und Süd jedenfalls freuen.
In der Arena in Mungyeong wird dies zumindest angedeutet. „Uns würde es guttun, wenn Ssireum sich internationalisieren könnte“, ruft der 29-jährige Ringer Kim Duck-Il gegen den Hallenlärm an. Auch wenn die Stimmung elektrisierend ist: Mehr als einige hundert Menschen sind nicht da. Die Zeiten, als Ssireum vor dem Zweiten Weltkrieg Koreas beliebtester Sport war, sind lang vorbei. Einige glauben, sportliche Vergleiche mit dem Norden könnten Ssireum einen Boost geben.
Nur ist das heute so schwierig wie nie. In Südkorea gibt es ein Sicherheitsgesetz, das „Propaganda“ für den Feind unter Strafe stellt, was prinzipiell schon positive Äußerungen über Nordkorea beinhalten kann. Dies erklärt, warum Vertreter des Ssireum-Verbands schmallippig werden, wenn es um Möglichkeiten des Austauschs geht.
Yoon Mee-hyang, linksliberale Politikerin aus Südkorea
Hinzu kommt, dass sich Ssireum nicht internationalisiert hat. Einen Weltverband gibt es nicht. Dies erschwert Gespräche. Denn fast immer, wenn der Sport als Plattform für Austausch diente, spielten sich entsprechende Treffen am Rande internationaler Events auf dem Boden von Drittstaaten ab.
Das erst mal vielleicht größte Hindernis aber ist der jahrzehntelangen Teilung geschuldet. „Unsere Athleten könnten gar nicht gegeneinander antreten“, sagt Brian, der Offizielle. „Unsere Einteilungen in Gewichtsklassen sind unterschiedlich. Auch der Ring im Norden ist ein bisschen anders.“
Seit Anfang Juni regiert in Südkorea der Liberale Lee Jae-myung, der angekündigt hat, nach Jahren der Konfrontation wieder den Austausch mit Nordkorea zu suchen. Vielleicht, so munkelt man, könnte Sport ja doch wieder helfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen