Mitarbeitermangel im Gesundheitswesen: Streit um Pflege-Assistenz
Eine zweijährige „generalistische “ Ausbildung zur Pflegekraft hat die Gesundheitsdeputation jetzt auf den Weg gebracht – gegen breite Kritik.
Das Gesundheits- und das Sozialressort wollen eine Ausbildung für eine „generalistische Pflegeassistenz“ in Bremen schaffen. Am Dienstag hat die Gesundheitsdeputation einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen. Zwei Jahre soll die Ausbildung dauern und eine Lücke schließen: Denn der Bedarf an Arbeitskräften in der Pflege wird größer, auch wegen der zunehmenden Alterung der Gesellschaft.
In Bremen geht es vorerst nur um 20 Plätze, allerdings als Vorreiter einer länderübergreifenden Initiative. Umso größer und grundsätzlicher ist die Kritik an dem Vorhaben. Linkspartei, Arbeitnehmerkammer, die Zentralstelle für die Gleichstellung der Frau (ZGF) und die Gewerkschaft Ver.di sind sich einig: Hier werde der Niedriglohnsektor besonders für Frauen ausgebaut.
„Unsere Bedenken wurden nicht beachtet“, sagt Carola Bury, Referentin für Gesundheitspolitik bei der Arbeitnehmerkammer. „Wir brauchen nicht die Helferinnen, wir brauchen die Fachkräfte.“ Bereits im Frühjahr 2012 nahm die Arbeitnehmerkammer Stellung. Im April 2012 startete ein Modellversuch mit 20 SchülerInnen.
Die Idee: Eine zweijährige „generalisierte“ Ausbildung soll auch Menschen mit einem Hauptschulabschluss eine Qualifizierung ermöglichen und nicht mehr zwischen den sonst getrennten Bereichen der Kranken- und Altenpflege unterscheiden. Diese soll „durchlässig“ und auf eine dreijährige Ausbildung zur Kranken- oder AltenpflegerIn anrechenbar sein.
Claudia Bernhard, Deputierte der Linkspartei zweifelt an dieser Durchlässigkeit: „So, wie der Ausbildungsgang angelegt ist, wird damit vielmehr eine ’Billigpflegehilfe‘ geschaffen.“
Auch Uwe Schmidt von Ver.di befürchtet, dass Fachkräfte mit bislang dreijähriger Ausbildung durch die PflegehelferInnen ersetzt werden sollen. „Es ist ein schleichender Prozess der Dequalifizierung“, so Schmidt. „Tariflich ist die Ausbildung nicht erfasst“ – sie bringe gegenüber einer einjährigen Qualifizierung als Pflegehelferin keinen Lohnvorteil.
Diese Tendenz wird von einer Studie der Arbeitnehmerkammer gestützt. Schon jetzt weichen die Einrichtungen auf Hilfskräfte aus und stellen mehr ein, als sie suchen. Demgegenüber bleibt jede zehnte Fachkraftstelle im Pflegebereich 2012 unbesetzt.
Auf jede Hilfskraftstelle kamen in Bremen etwas zehnmal so viele BewerberInnen. Nur ist das Problem: In diesem Bereich, in dem besonders viele Frauen angestellt sind, arbeiten über die Hälfte der Pflegenden in Teilzeit, der Lohn reicht nicht aus, um eine Existenz zu sichern.
Dieses Problem sieht auch die Grüne Doris Hoch: „Das ärgert mich auch“, sagt sie, „aber das können wir nicht in einem Gesetz ändern.“ Ebenso argumentierst Jens Schmidt, Sprecher des Gesundheitssenators. „Am Ende ist es Sache der Tarifparteien, diese neue Ausbildung gerecht zu entlohnen.“ Er betont die „niedrige Einstiegsschwelle“, die für den Beruf geschaffen werde.
Die Arbeitnehmerkammer-Referentin Bury sieht das bereits bei dem Modellversuch nicht eingehalten. Acht der 20 SchülerInnen hätte die Voraussetzung gehabt, auch eine dreijährige Fachausbildung zu absolvieren.
Mit der ZGF sieht Bury die Gefahr, dass die Ausbildung keine Perspektive, sondern eine „Sackgasse“ ist – vor allem, weil bis zu einer einheitlichen, länderübergreifenden Regelung „noch viel Wasser die Weser runter fließen“ werde, so Bury.
Sozialressort-Sprecher Bernd Schneider sieht bei den anderen Länder nicht so schwarz. „Die arbeiten alle daran“, sagt er und spricht von einem „Bausteinsystem“: „Es zielt auf eine weitere Qualifikation ab“, und das eben auch für nicht so Hochqualifizierte.
„Wichtig ist, dass man neue Zugänge zu den Pflegeberufen schafft“, so Schneider. Ebenso müsse insgesamt das Qualifikationsniveau angehoben werden. Der laufende Kurs solle eine Erprobung sein, vor allem für das Curriculum, und sei daher auch „nur bedingt“ vergleichbar.
Die Ausbildung in dem Modellprojekt läuft noch bis März 2014. Als Reaktion auf die Kritik ist nun vorgesehen, das Ausbildungsgesetz nach einer Evaluation möglicherweise noch einmal zu verändern. Am Donnerstag befasst sich die Sozialdeputation mit dem Thema, danach geht das Gesetz zur ersten Lesung in die Bürgerschaft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund