■ Mit russischem Roulette auf du und du: Börsen-Glücksrad
Moskau/Berlin (AFP/taz) – In Rußland scheint es vielen so zu gehen wie Dostojewskis „Spieler“. Gerade erst haben fünf Millionen Anleger durch die Pleite des Anlagefonds MMM ihr Geld verloren. Aber schon kratzen viele wieder ihr Geld zusammen, leihen sich notfalls etwas dazu und kaufen die nächsten Aktien.
Zahlreiche Investmentfonds, die genauso aufgebaut sind wie MMM, offerieren Renditen von bis zu 100 Prozent. Wer kann da schon widerstehen, zumal die Löhne oft nicht mehr für den Lebensunterhalt reichen? Die Gesellschaften betreiben sogenannte Pyramidengeschäfte, die fatal an das Pilotspiel erinnern: Die Aktionäre bekommen ihre sagenhaften Renditen durch die Einzahlungen der nachfolgenden Anleger. Das Ganze kollabiert, sobald nicht mehr genug neue Investoren anbeißen.
Die meisten durch MMM geprellten Anleger wollen jetzt ihre Verluste aufholen. Die seriöseren Industrie- und Bankenaktien sind jedoch für die kleinen Privat-Spekulanten meist zu teuer; außerdem werfen sie nicht sofort Gewinne ab. Investiert wird daher weiter in das Pyramiden-Modell.
Höchstens ein Drittel der Händler sind Profis, schätzt Ilja Rybkin von der Geschäftsleitung der Moskauer Zentralbörse. In den Sommerferien kommen rund 10.000 Spekulanten täglich, oft nur mit T-Shirt und kurzen Hosen bekleidet. Regeln gibt es kaum, „und wenn es welche gibt, werden sie nicht beachtet“, sagt die 22 Jahre junge Börsenanalytikerin Marianna Astachowa.
Der Moskauer Aktienmarkt boomt, das Umsatzvolumen verdoppelt sich jeden Monat. Nun will Moskau die gesetzlichen Bestimmungen verschärfen. Rybkin beklagt zwar die Anarchie an den Börsen, doch ist er auch über den angekündigten Börsengesetzentwurf beunruhigt: „Es war in unserem Land schon immer so, daß nichts mehr funktioniert, sobald sich die Bürokraten einmischen.“ lieb
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