: Mit der Kammer für einen guten Kapitalismus
■ Deutsch-Polnische Handelskammer gestern in Warschau eröffnet
Warschau (taz) – „Der polnische Tiger auf dem Sprung?“ Witold Malachowski, Professor an der Warsaw School of Economics und Vorstandsvorsitzender der Euro Energia AG, lacht. „Soweit sind wir noch nicht. Aber das Stereotyp der ,polnischen Wirtschaft‘ können Sie schon vergessen.“ Was den Professor und Unternehmer so sicher macht, ist nicht nur die seit 1992 anhaltende Konjunktur in der Bauwirtschaft und im Außenhandel, sondern vor allem die Ende letzten Jahres in Warschau gegründete Deutsch-Polnische Industrie- und Handelskammer (DPIHK). „Sie wird eine mächtige Wirtschaftsorganisation sein, unabhängig von den Regierungen beider Länder, aber stark genug, um die Wirtschaftspolitik beeinflussen zu können.“
Die Kammer wurde gestern feierlich eröffnet. Zu den Gästen gehörten neben Jozef Oleksy, dem Ministerpräsidenten Polens, auch Helmut Kohl, der die Gründung der Kammer vor sechs Jahren bei seinem ersten Besuch in Polen angeregt hatte. Kohl sagte, jede eingesetzte Mark sei „eine gute Investition in unsere gemeinsame Zukunft“. Die Bundesrepublik werde sich für den baldigen Beitritt Polens zur EU einsetzen.
Während für Polen Deutschland mit einem Anteil von über 30 Prozent des Außenhandels der wichtigste Wirtschaftspartner ist, läuft Polen als Handelspartner in Deutschland mit gerade mal einem Prozent Anteil unter ferner liefen. „Die Kammer“, da ist Malachowski überzeugt, „wird das ändern.“ Fast alle großen Firmen Polens haben einen Aufnahmeantrag gestellt, außerdem etliche Banken, von deutscher Seite Mercedes, VW, Hoechst, BASF und andere.
„Die Kammer“, erklärt Hans- Jürgen Weber, der geschäftsführende Direktor, „vertritt die Interessen der deutschen und polnischen Unternehmen gegenüber der Regierung, sie hilft deutschen Investoren, die Klippen der Bürokratie zu umschiffen und mit den Gepflogenheiten des Landes besser zurecht zu kommen.“
Von den bisher 285 Mitgliedern sind die allermeisten, nämlich 227, polnische Unternehmen. Damit hatte noch in der Vorbereitungsphase kaum einer gerechnet. Politiker, Journalisten, und polnische Unternehmer fürchteten, daß die bilaterale Industrie- und Handelskammer, die ja nach deutschem Muster aufgebaut werden sollte, eine Institution des verkappten deutschen Scheckbuchimperialismus würde. Der Technologietransfer aus der Bundesrepublik würde auf Kosten der Arbeitnehmer gehen, war die Angst. Sie war aber unbegründet. Die Zahl der Arbeitslosen stieg nicht auf fünf Millionen, sondern pendelte sich bei rund zweieinhalb Millionen ein, knapp 15 Prozent der arbeitenden Bevölkerung. Qualifizierte Arbeitsplätze, so wurde klar, werden nur dann geschaffen, wenn Unternehmen investieren, egal, ob dies nun ein Pole, ein Deutscher oder ein Amerikaner tut.
„Die polnischen Firmen in der DPIHK“, so der Malachowski, „sind vor allem am direkten Erfahrungsaustausch mit ,echten Kapitalisten‘ interessiert.“ In Polen bestehe die Gefahr, daß sich ein zweiter Manchesterkapitalismus entwickle. Dem wolle die DPIHK entgegenwirken.
Für polnische Unternehmer ist noch etwas anderes interessant. Da die DPIHK eine von weltweit 50 Außenhandelskammern ist, die vom Deutschen Industrie- und Handelstag anerkannt sind, eröffnet die Mitgliedschaft den potentiellen Kontakt zu 40.000 anderen Mitgliedsunternehmen. Damit ist der Weg zur Europäischen Union und zum Welthandel offen. Gabriele Lessersiehe auch Seite 9
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