■ Mit dem gestrigen Luftangriff wollte die Nato den bosnischen Serben vor Gorazde deutlich machen, daß der Warnschuß vom Sonntag abend ernst gemeint war: Nato und Serben auf Konfrontationskurs
Mit dem gestrigen Luftangriff wollte die Nato den bosnischen Serben vor Goražde deutlich machen, daß der Warnschuß vom Sonntag abend ernst gemeint war
Nato und Serben auf Konfrontationskurs
Der erneute Angriff von Nato- Kampfflugzeugen auf Stellungen der bosnischen Serben rund um die UN-Schutzzone Goražde kam gestern für viele Beobachter überraschend. Denn nachdem Nato- Kampfflugzeuge schon am Sonntag abend serbische Stellungen um die UN-Schutzzone Goražde bombardiert hatten, schien es zunächst, als sei die Lage um die ostbosnische Enklave dabei, sich zu beruhigen. Erst gestern am frühen Nachmittag bestätigte schließlich das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) aus Genf, daß in der ostbosnischen Stadt weiterhin gekämpft würde. Gegen 11.10 Uhr vormittags seien zwei Geschosse in einer Schule eingeschlagen, in der Flüchtlinge untergebracht waren. Dabei seien rund 200 Menschen verletzt worden.
Bereits in der Nacht zum Montag hatte das UNHCR als Vorsichtsmaßahme die Hilfskonvois in die serbische Zone Bosniens und die Luftbrücke nach Sarajevo eingestellt. Das UN-Personal war jedoch nicht angewiesen worden, die serbisch besetzten Gebiete zu verlassen. Auf der Ostseite des Flusses Drina am Stadtrand von Goražde fanden zu diesem Zeitpunkt – also noch Stunden nach dem ersten Nato-Einsatz – nach UNHCR-Angaben heftige Kämpfe statt.
Auch der bosnische Rundfunk hatte am späten Sonntagabend noch über Artillerieangriffe der serbisch-bosnischen Armee auf Goražde berichtet. Das hatte UNO-Sprecher Mike Williams bis gestern mittag nicht bestätigen wollen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Zagreber UNHCR-Sprecher Lyndell Sachs und Peter Kessler aber bereits mitgeteilt, weiterhin flöhen die Menschen aus dem Osten der Stadt ins Zentrum, da sie nach der nächtlichen Unterbrechung wiederum von den Anhöhen im Südosten mit Maschinengewehren beschossen würden. Und schon gestern früh hatte der Präfekt der Stadt, Esad Ohranović, erklärt, die Serben hätten ihre Bombardements wieder verstärkt.
Der erste Nato-Luftangriff auf serbische Bodenstellungen in Bosnien am Sonntag geschah auf der Grundlage der UNO-Resolution 836 vom Juni 1993. Danach können „Mitgliedsstaaten, nationale oder internationale Organisationen“ in Kooperation mit der UNO „alle notwendigen Maßnahmen einschließlich des Einsatzes von Luftangriffen ergreifen“, um UNO-Personal in UNO-Schutzzonen zu schützen – eine Sprachregelung, die auf bosnischer Seite schon Kritik herausgefordert hatte. Einen Einsatz von Nato- Flugzeugen lediglich mit dem Schutz der UNO-Mitarbeiter zu rechtfertigen, sei angesichts des Schicksals der rund 60.000 Eingeschlossenen in Goražde beleidigend. UN-Generalsekretär Butros Ghali genehmigte am Samstag den „Einsatz aller verfügbaren Mittel“, um den serbischen Angriff auf Goražde zurückzuwerfen.
Bei der kürzlich gegründeten bosnisch-kroatischen Föderation löste der Angriff vom Sonntag spürbare Erleichterung aus. Zwar sei die Reaktion der UNO „sehr spät“ gekommen, so der bosnische Ministerpräsident Haris Silajdžić am Sonntag abend, „aber psychologisch ist der Angriff sehr bedeutsam für unsere Menschen, die seit zwei Jahren leiden“. Erneut habe sich gezeigt, daß die Gegenseite allein die Sprache der militärischen Reaktion verstehe.
Die bosnischen Serben hatten dagegen am Sonntag abend aus Protest gegen den Abwurf der drei 250 Kilo schweren Bomben, mit denen zwei serbische Panzer zerstört worden waren, alle Kontakte mit den UNO-Schutztruppen (Unprofor) ausgesetzt. Ihr selbsternannter „Präsident“ Radovan Karadžić sagte zudem ein für gestern geplantes Gespräch mit dem US-amerikanischen Jugoslawien- Vermittler Charles Redman ab. Für den Einsatz der Nato gebe es keine Rechtfertigung, hieß es in einer 4-Punkte-Erklärung des Oberkommandos der bosnischen Serben: Die UNO habe sich „in diesem Bürgerkrieg auf eine Seite“ geschlagen. Der Nato-Angriff habe keine Panzer, sondern „Zivilisten“ getroffen, wurde behauptet.
Damit schienen die bosnischen Serben die Nato-Drohungen vom Sonntag, es könnte bei einem weiteren serbischen Vormarsch auf Goražde weitere Luftangriffe geben, in den Wind zu schlagen. Das scheint um so erstaunlicher, als der US-amerikanische Präsident Bill Clinton am Sonntag abend persönlich die Bereitschaft der USA betont hatte, weitere Luftangriffe durchzuführen, falls diese von der UNO angefordert würden. Gleichzeitig hatte Clinton die serbisch- bosnische Seite aufgefordert, die zuvor abgebrochenen Waffenstillstandsverhandlungen wiederaufzunehmen. Erich Rathfelder, Ljubljana
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