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Mit dem drögen Charme der Hannover-Messe

■ Im Zukunftsrausch eröffnete Bausenator Nagel die „Infobox“ am Leipziger Platz

Außen rot und innen innovativ – so präsentierte Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) gestern seine eigene Wenigkeit und das dazugehörige Bauwerk: die „Infobox“ am Leipziger Platz. In der „Kiste, die was auf dem Kasten hat“, so Nagel, sollen künftig nicht nur Tausende von Besuchern durch die drei Stockwerke geschleust werden, sondern zudem der „wichtigste Beitrag zum Standort- und Stadtmarketing Berlins“ geleistet werden. Das Produkt Berlin, so wird einmal mehr deutlich, ist mithin käuflich und der Bausenator der Schlepper für die privaten Investoren.

Auf einer Fläche von 2.200 Quadratmetern bieten insbesondere die Daimler-Tochter debis, Sony- Deutschland, das Gemeinschaftsunternehmen ABB und Roland Ernst, die Bahn AG sowie als Zulieferer die Bewag und die Telekom ihre Produkte feil.

Ein einheitliches Konzept der Ausstellung mit dem Charme einer Hannover-Messe gibt es freilich ebensowenig wie eine Übersicht, auf der die Bauvorhaben der einzelnen Investoren topographisch voneinander zu unterscheiden sind. Der Hertie-Konzern, der ebenfalls auf dem Potsdamer Platz bauen will, ist in der Infobox gar nicht erst vertreten. Statt dessen darf die Magnetschnellbahn GmbH für den umstrittenen Transrapid werben. Sehr zur Freude übrigens von Bausenator Nagel. Der läßt sich bekanntlich kein Spielzeug entgehen und nutzte bei der gestrigen Pressevorführung die Gelegenheit, auf dem imaginären Führersitz des Transrapid die märkische Landschaft an sich vorbeihuschen zu lassen.

Während das debis-Projekt zwischen Landwehrkanal und Potsdamer Platz in der Simulation den größten Raum einnimmt, geben sich Roland Ernst und ABB ganz künstlerisch. Zur eigens komponierten „Raummusik“ gruppieren sich fünf plastische Porträts der beteiligten Architekten um die Modellvitrine und verleihen der Szenerie ein ungewollt mumifiziertes Ambiente. In der offiziellen Lesart nennt man das „kulturelle Verantwortung“. Sony schließlich glänzt mit einem gläsernen Modell, in dem das alte „Hotel Esplanade“ bis zur Unkenntlichkeit verstellt und von neumodischen Bürokästen überbaut ist.

Die Stadt von morgen, so suggeriert es die Ausstellung der Berliner Großgrundbesitzer, besteht zunächst aus einer schier unendlichen Menge an Datenmaterial. Wer im zehn Millionen Mark teuren „Inforaumschiff“, zu dem der Senat drei Millionen beisteuerte, das dazugehörige Infotainment betreiben will, muß eine gehörige Menge an Bits und Bytes auffahren – schließlich sollen sich die Berliner beeindruckt zeigen ob der technischen Fertigkeiten jener Firmen, die sich die urbane Verödung der Berliner Mitte heimlich auf ihre Steuererklärungen geschrieben haben.

Wer sich Computeranimationen leistet, den Grundwasserspiegel jederzeit abrufbar macht und eine intelligente Baustellenlogistik vorweist, der wird es schon nicht auf eine Zerreißprobe stellen, das künftige Herz der Stadt. Im technischen Rausch, und kommt er noch so hölzern daher, soll so vergessen gemacht werden, was rings um die Infobox nicht nur simuliert wird, sondern wirklich geschieht: der Ausverkauf der Stadt und der bürgernahen Planung an eine gesellschaftliche, aber kapitalkräftige Minderheit. Uwe Rada

Die Infobox ist an Werktagen von

9 bis 19 Uhr, am Donnerstag bis 21 Uhr und an Sonn- und Feiertagen sowie samstags von 11 bis 19 Uhr geöffnet

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