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Archiv-Artikel

Mit dem Velo ins Mangofeld

Die schönen bunten afrikanischen Stoffe, die die Frauen tragen und die von Europäerinnen bewundert werden, kommen längst aus China

AUS NIANGOLOKO UND BANFORA EDITH KRESTA (TEXT) UND FRANCA PEDRAZZETTI (FOTOS)

Die Frauen schälen, schneiden, sortieren, dörren und kontrollieren die Früchte. Sie wiegen und verpacken getrocknete Mangoscheiben. Alles Handarbeit, vom Baum bis zur Überseekiste. Made in Burkina Faso. Die Frauen tragen Arbeitskleidung und Mundschutz – „weil sie sonst unaufhörlich quatschen“, gibt uns augenzwinkernd ein Mitarbeiter zu verstehen. Er transportiert in schrillen, grün-gelb gestreiften Plastikeimern Mangos. Männer scheinen sich weniger für die feinmotorischen Arbeiten anzubieten: Sie übernehmen die schwere körperliche Arbeit – oder sind Aufseher, Fahrer, Chef. Und es sind ausschließlich Männer, die bei den Versammlungen der Assoziation das Wort führen: „Unsere Frauen wollen nicht öffentlich sprechen. Daran arbeiten wir“, sagt Sommande Issaka, der Geschäftsführer der Association TON. Zu den Arbeiterinnen Kontakt aufzunehmen, wird auch aus diesem Grund bei unserem Rundgang schwierig. Und weil sie häufiger als die Männer kein Französisch sprechen oder verstehen.

Die Association TON ist ein Zusammenschluss von Kleinbauern. Die Kooperative verarbeitet frische Mangos in haltbare Trockenmangos. Für europäische Kunden, die biologisch angebaute und fair gehandelte Produkte kaufen wollen. David Heubi von Gebana Afrique will uns vor Ort zeigen, dass dies „unter besten hygienischen Bedingungen“ und mit Qualitätskontrollen“ geschieht. Der Generalmanager der Schweizer Fair-Trade-Organisation in Westafrika bringt unsere Journalistengruppe mit Produzenten in Burkina Faso zusammen, deren Erzeugnisse Gebana auf den europäischen Markt verschifft und übers Internet vertreibt.

Wir fahren zur Mango-Plantage der Kooperative. Sie liegt etwas außerhalb des kleinen Fleckens Niangoloko im Süden des Landes an der Grenze zur Elfenbeinküste. Die Straße dorthin ist ungeteert. Kraterähnliche Schlaglöcher, die jetzt zur Regenzeit immer weiter ausgeschwemmt werden, machen den Weg abenteuerlich. Wir fahren vorbei an Lehmhäusern und den klassischen Rundhütten. Kinder sitzen unter Palmblättern im Regen, die Füße im aufgeweichten Matsch badend. Das ländliche Burkina Faso ist Afrika wie aus einem Bilderbuch der Kolonialzeit: Frauen in bunten Stoffen tragen Wasserkrüge und Brennholz auf dem Kopf, gekocht wird über dem offenen Feuer, denn die Versorgung mit Strom und Wasser ist im ganzen Land sehr gering.

Burkina Faso ist für die Teilnehmer der Gruppe ein Kulturschock, besser gesagt: ein Armutsschock. Es ist eines der ärmsten Länder der Welt mit allen Begleiterscheinungen der Armut: wachsende Bevölkerungszahlen (pro Jahr um 2,4 Prozent); verbreitete Krankheiten wie Aids, Malaria, Tuberkulose; hoher Analphabetismus (72 Prozent); große Kindersterblichkeit und niedrige Lebenserwartung (43 Jahre). Dürren und Desertifikation im Norden zwingen viele Menschen zur Landflucht. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung betreiben Subsistenzwirtschaft und leben vom Anbau von Gemüse und Getreide für den Eigenbedarf.

Mangos reifen im Juni und August. Jetzt, Ende August, sind die Bäume abgeerntet. Stolz zeigt uns Geschäftsführer Issaka die neugepflanzten Bäume. „Die Frucht ist eine wertvolle Kulturpflanze. Und während der Erntezeit ist die Mango Grundnahrungsmittel für viele Menschen“, sagt er. Mangos schmecken frisch oder – vor der Reife – in Curry-Gerichten; man macht aus ihnen Mango-Chutney und andere würzige Soßen, aber auch Saft, Marmelade oder Kompott.

Mitten auf dem Mangofeld steht ein altes Schweizer Militärrad: schwer, aber grundsolide. Es ist die Prämie eines Mitarbeiters. Gebrauchte Räder werden von der Schweizer Velo-Recyclingwerkstatt Gump- & Drahtesel fachgerecht aufgearbeitet und dann nach Afrika verschickt. Matthias Maurer von dem „Unternehmen für soziale Innovation“ ist mit dabei auf unserer Reise. „Jedes Jahr verschicken wir 7.000 Velos und viele Ersatzteile nach Afrika. Nach Burkina Faso waren es letztes Jahr 600 Räder“, sagt er. Das „Milirad“, mit dem der Mango-Bauer nun tagein, tagaus aufs Feld radelt, komme mit Sicherheit aus seiner Werkstatt.

Das wichtigste Exportgut Burkina Fasos ist – beziehungsweise war – Baumwolle.Trotz der guten Qualität der burkinischen Baumwolle hat das Land wegen der hohen Agrarsubventionen in westlichen Industrieländern Probleme, seine Ernteerträge auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Seit der Schließung der Fabrik Faso Fani im Jahre 2000 ist in Burkina Faso keine Weiterverarbeitung von Baumwolle in größerem Stil mehr möglich. Die schönen bunten afrikanischen Stoffe, die die Frauen tragen und die von Europäerinnen bewundert werden, kommen längst aus China.

Burkina Faso wäre völlig vom Weltmarkt abgehängt, gäbe es nicht ein Heer von Entwicklungshilfeorganisationen in der Hauptstadt Ouagadougou. „Fairer Handel hilft die Existenz von Kleinbauern sichern“, erläutert David Heubi. Auch die deutsche GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit und Entwicklung) in Ouagadougou überlege, die Ausbildung bei Fair-Trade-Partnern der Gebana in Burkina zu unterstützen. Der Erfolg dieses Modells der Hilfe zur Selbsthilfe scheint, durch die direkte Vermarktung in Europa, konkreter und erfolgversprechender.

„Die Mitarbeit in der Assoziation ist auch bei Einheimischen sehr begehrt. Sie gibt ihnen festen Lohn, aber auch das Gefühl, etwas bewegen zu können“, sagt Geschäftsführer Issaka. „Bei uns arbeiten saisonal 430 Angestellte, 154 Mangobauern liefern ihre Produkte.“ Ihr Grundeinkommen liege mit umgerechnet 1,80 Euro pro Tag 20 Prozent über dem Jahresdurchschnittseinkommen von 340 Euro in Burkina Faso. Diese Einkünfte inklusive der erwirtschafteten 16.000 Euro Überschuss ermöglichen den Mitgliedern ein normales Leben, betont der Geschäftsführer. Mit dem Mehrerlös, der sogenannten Prämie, wird darüber hinaus ein medizinisches Zentrum in Niangoloko unterstützt, die Schule ausgebaut, alleinerziehenden Müttern geholfen, werden Moskitonetze ausgegeben und Kredite an Frauen von Kleinstunternehmen gezahlt. Die Kooperative betreibt auch ein Durchgangsheim für „verkaufte Kinder“, die zu ihren Familien zurückgebracht werden sollen. Burkinische Kinder werden häufiger an der Grenze zur Elfenbeinküste aufgegriffen. Schlepper versuchen sie als Arbeitssklaven zu den großen Ananas-, Kaffee- und Kakaoplantagen der Elfenbeinküste zu schmuggeln. Kinderhandel ist auch Thema des Theaterstücks, das die Mitarbeiter von TON abends im Versammlungsraum der Kooperative uns zu Ehren aufführen.

„Die Gebana unterstützt ihre Partner vor Ort durch landwirtschaftliche Beratung, Verbesserung der Verarbeitungsmethoden sowie Vorfinanzierung“, erklärt David Heubi beim Rundgang. „Wir bejahen den Wettbewerb als Motor zur Verbesserung auch im Fairen Handel und streben eine optimale Rentabilität an“, sagt er etwas PR-mäßig. Tatsächlich stieg durch verbesserten Vertrieb und Marketing der Verkauf von getrockneten Mangos aus Burkina Faso von 12 Tonnen 2002 auf 402 Tonnen im Jahr 2007.

Wir fahren weiter nach Banfora. Ein wichtiges städtisches Verwaltungszentrum inmitten einer alten Kulturlandschaft mit vielen Naturschönheiten wie den Cascades de Banfora, wo der Hippo (Flusspferd) wohnt und Elefantenherden die schlammigen Straßen kreuzen. Die Association Wouol ist größer als TON. Sie hat zur Hauptsaison 1.250 Angestellte, 80 Prozent davon Frauen. Wouol produziert Mangos und Cashewnüsse. Beide sind – wie bei TON – mit dem Bio- und Fair-Trade-Label zertifiziert. „Uns geht es um die Förderung unserer ländlichen Region. Die Landflucht hier ist groß“, sagt der Präsident der Assoziation, Antoine Sombié. Er führt uns zur Verarbeitungsanlage der Cashewnüsse. Wie bei der Mango-Verarbeitung werden auch die Cashews von Hand aus der Schale gelöst, geschält, gesäubert, sortiert. Ausschließlich Frauen in blauen Kitteln sitzen auf niedrigen Hockern vor aufgehäuften Nüssen im unterschiedlichen Verarbeitungsstadium. Unweigerlich fühlt man sich an Manchester-Manufakturen erinnert – wären nicht der soziale Anspruch der Produktionsgemeinschaft und das Privileg der Lohnarbeit. Wouol nutzt die Prämie zur Integration von Rückkehrern aus der bürgerkriegsgeschüttelten Elfenbeinküste, für Alphabetisierung und Bildung sowie zur öffentlichen Armenspeisung.

„Die FLO-Zertifizierung (Fair Trade Label Organisation) hat uns Märkte geöffnet“, lobt Antoine Sombié. „Ein Problem ist nur das Protokoll, das dafür erstellt werden muss. Es ist eine bürokratische Herausforderung.“ Denn wenn alljährlich der FLO-Inspektor aufkreuzt, müssen die Anwärter für die Zertifizierung ihre Tauglichkeit in puncto Arbeitsbedingungen, Bezahlung, Demokratie, Geschlechtergleichheit und Umweltverträglichkeit schwarz auf weiß belegen. Der Schriftverkehr zum Label für den bewussten Käufer in Europa ist für die Produzenten in Afrika ein bürokratischer Stolperstein. Etwas „Kulturimperialismus“ auf dem Weg zu einer faireren Welt.