■ Mit dem Grünen Pfeil auf du und du: Vom Osten lernen
Berlin (taz) – Also bitte, es gibt doch etwas aus der DDR, was den politischen Spitzen als erhaltenswert erscheint: der Grüne Pfeil. Wenn die Ampel Rot zeigt und es eigentlich nicht vorangehen darf, ermöglicht dieses kleine Symbol doch freie Fahrt – für die, die nach rechts abbiegen wollen. Daß jetzt auch dem freien Bürger im Westen diese Möglichkeit nicht mehr länger vorenthalten werden soll, beschlossen die Landesväter letzten Freitag im Bundesrat.
„Eine der wenigen erhaltenswerten Errungenschaften der ehemaligen DDR“, hatte Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen um die Zustimmung seiner Kollegen geworben. In ganz Berlin werden demnächst Kreuzungen damit ausgestattet, verkündete die Stadtregierung – und hat endlich ein Gegenargument, wenn die Ossis sich über die Ausradierung ihrer politischen Kultur beschweren: Vom Osten lernen. Gemeinsam rechts abbiegen.
Aber natürlich gibt es mal wieder Querulanten, die den gesamtdeutschen Chor mit Mißtönen stören. „In jedem Jahr sterben mehr Fußgänger in deutschen Städten allein durch Abbiegeunfälle an Kreuzungen mit Lichtsignalanlagen, als in den knapp drei Jahrzehnten Menschen an der Mauer ihr Leben lassen mußten“, schreibt Bernd Herzog-Schlagk vom Fußgängerschutzverein. Das Zeichen, das am 1. Februar in die Straßenverkehrsordnung aufgenommen wird, werde diese Gefahr noch weiter erhöhen. Eine entsprechende Studie aus den USA belegt, daß dort nach der Einführung einer ähnlichen Regelung die Unfallzahlen um 14 Prozent anstiegen.
Aber von derartigen Überlegungen wollen sich die Maurer der deutschen Einheit nicht beeindrucken lassen. Schließlich sollen Verkehrsrowdys, die Fußgänger gefährden oder umfahren, 100 Mark zahlen. Außerdem habe eine zehnstündige Beobachtung der Ostberliner Kreuzungen ergeben: Keine Gefahr. Ein glühender Verehrer des Grünen Pfeils aus der Bundesanstalt für Straßenwesen hatte die Untersuchung geleitet. Und derselbe Klaus Krause wird bis 1997 damit beschäftigt sein, eine Langzeitstudie zu erstellen. Bis dahin dürften außer den jährlich üblichen 40.000 Kindern noch ein paar mehr auf deutschen Straßen unter die Räder gekommen sein.
Vielleicht auch deswegen boykottieren einige Landesväter im Westen still die schöne Einheitssymbolik, obwohl sie offiziell für dieses Herzensanliegen fast aller Ostpolitikerkollegen stimmten. Und auch die Kommunen haben die Chance, ihre Straßen frei vom Grünen Pfeil zu halten. Damit zerstören sie die von Ex-Verkehrsminister Günther Krause angepriesene psychologisch wichtige Erfahrung für die neuen Bundesbürger, „daß auch einmal eine ihnen vertraute Regelung bundesweit übernommen würde“. Annette Jensen
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