■ Mit dem G-7-Gipfel auf du und du: Nebensache Wirtschaft
Neapel (taz) – „Wachstum und Arbeit“ sind die offiziellen Themen des diesjährigen Wirtschaftsgipfels, der heute abend mit einem Galadinner der Regierungschefs der sieben reichsten Industrieländer eröffnet wird. Beide Themen werden die Präsidenten, Premiers und Kanzler aus den USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada schnell abhaken können. Denn in diesem Jahr wird in allen G-7-Ländern die Wirtschaft wieder wachsen. Damit liefert sie dem Führungspersonal keinen Grund mehr zur Sorge und keinen Anlaß zur Debatte. Die massive Arbeitslosigkeit hingegen ist zwar in allen Industriestaaten ein besorgniserregendes Thema. Alle Gipfel-Teilnehmer wissen jedoch, daß sie zur Lösung dieses Problems ohnehin keinen gemeinsamen Nenner finden werden. Zu unterschiedlich sind das US-amerikanische liberale Mac-Job-Modell, die französische staatlich gelenkte Industriepolitik, der japanische Protektionismus und die deutsche soziale Marktwirtschaft in Deregulierung.
Schon im Vorfeld wurde der fallende Dollar als Thema von der Tagesordnung abgesetzt. Das sei im wesentlichen ein Problem zwischen den USA und Japan, verlautete Anfang der Woche aus der EU. Beide Länder sollten doch untereinander verhandeln, wie sie ihren Streit darüber beilegen könnten, daß die Japaner wesentlich mehr Waren in die USA exportieren als umgekehrt. Hartnäckig haben sich darum gestern in Neapel Gerüchte gehalten, daß sich Tomiichi Murayama und Bill Clinton vor Gipfelbeginn heimlich treffen würden, um ein beruhigendes Signal an die nervösen Börsianer auszusenden. Mehr können sie ohnehin nicht tun. Denn täglich bewegen die Kapitalisten aller Länder an den Börsen dreimal soviel Geld wie die Notenbanken der G-7-Länder an Währungsreserven in ihren Tresoren gebunkert haben.
Auf dem vierten Gipfel nach dem Ende des Kalten Krieges driftet der Charakter des Treffens vom eigentlichen Thema Wirtschaft weg in Richtung Politik. Die wirtschaftspolitische Erklärung, in den vergangenen 19 Jahren Höhepunkt und Abschluß des Gipfels, wird diesmal schon nach einer kurzen Sitzung am ersten Tag verlesen. Den Problemen der Politik ist dann der zweite Tag vorbehalten – unter gleichberechtigter Teilnahme des russischen Präsidenten. Boris Jelzin, der in München und Tokio noch am Katzentisch abgespeist wurde, ist nun offenbar vom Club der Reichen als feste Größe akzeptiert.
Die neue italienische Regierung, die bei den letzten Verhandlungen über den Bosnien- Krieg nicht mit an den Verhandlungstisch gebeten wurde, hofft nun, daß sie wieder Anschluß an die Weltpolitik findet. Der G-7-plus-1-Gipfel dürfe nicht einfach ein lockeres Treffen einmal im Jahr bleiben, sondern müsse als festes Arbeitsgremium zur Lösung aller weltpolitischen Themen institutionalisiert werden, forderte Außenminister Antonio Martino. Ein Wirtschaftsgipfel wäre er dann nicht mehr – aber als solchem gehen ihm ja ohnehin die Themen aus. Donata Riedel
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