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■ Mit dem Chemiedreieck auf du und duReizgas Chlor

Berlin (taz) – Wohl selten war ein Kanzler-Wort so teuer, wie das vom Erhalt des Chemiestandorts Ostdeutschland. Auf 25 Milliarden Mark schätzt Joachim Keiser vom Chemie-Referat der Treuhandanstalt die Kosten der Bestandsgarantie für die Großindustrie im sachsen- anhaltinischen Chemiedreieck, den Orten Leuna, Schkopau und Bitterfeld. Was die Marktwirtschaft wegen Kohl nicht schaffen darf, wollen nun die Bündnisgrünen staatlicherseits in dem ostdeutschen Bundesland durchsetzen: den Ausstieg aus der Chlorchemie.

Besonders dem Allerwelts- Kunststoff PVC, der in Bodenbelägen und Baurohren zu finden ist, gilt ihr Kampf. Denn bei jedem Wohnungsbrand verschmort PVC und setzt dabei hochgiftige Dioxine frei. Selbst wenn es gelingt, die Chlorchemie-Produktion in geschlossenen Kreisläufen stattfinden zu lassen, bleibt also die Gefahr durch das Produkt selbst. Umweltschützer mochten darum nicht mitfeiern, als die Treuhand Geld für die Modernisierung der Chlor-4-Anlage in Bitterfeld/Wolfen freigab – obwohl nach dem Umbau die PVC-Anlage über geschlossene Kreisläufe und eine Recyclinganlage verfügen soll.

Im Jahr 4 nach der Währungsunion ist allerdings von der DDR-Chemie, trotz des Kanzler-Wortes, wenig übriggeblieben. In allen neuen Bundesländern zusammen existieren 45.000 Chemiearbeitsplätze, zu DDR-Zeiten waren es 180.000. Im Chemiedreieck arbeiten noch 23.000 von 80.000 in der Branche. Das Bild auf den riesigen Kombinatsgeländen prägen Abrißbagger und aufräumende ABM-Gesellschaften. Dazwischen haben sich die ersten mittelständischen Chemiefirmen angesiedelt, die mit wenigen Beschäftigten in den unterschiedlichsten Chemiesparten meist chlorfrei produzieren. Investoren aus der Großindustrie, Elf Aquitaine in Leuna und Bayer in Bitterfeld, sind selten und betreffen nicht die Chlorchemie.

Voll auf die chlorchemischen Produkte setzt im Chemiedreieck vor allem der Chef der Buna GmbH, Bernhard Brümmer. 1998 soll die modernisierte Produktion verlustfrei laufen. Pläne, die auch den Buna-Aufsichtsratschef Eberhard von Brauchitsch nicht vom Hocker reißen, der dem Unternehmen in der Wirtschaftswoche „dringend neue Produkte“ empfielt. Denn für die Basischemikalien bestehen weltweit Überkapazitäten. Außerdem wird in Westdeutschland eifrig an Ersatzstoffen für das verrufene PVC geforscht.

Ohnehin gilt die Buna GmbH in Schkopau als schlimmster der „industriellen Kerne“. 1,4 Milliarden Mark butterte die Treuhand seit 1990 in die laufenden Verluste. Falls aber das Projekt „Entwicklung Chlorchemie“ doch bis zur Umsetzungsphase reifen sollte, könnten auch Bündnisgrüne in der sachsen-anhaltinischen Regierung wenig dagegen ausrichten. Der vorgesehene Standort ist Böhlen – im Bundesland Sachsen. Donata Riedel

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