■ Mit dem Berufsverbot auf Du und Du: Europarichter urteilen
Einer der spektakulärsten Fälle in der Geschichte bundesdeutscher Berufsverbote geht in eine neue juristische Runde. Die Lehrerin Dorothea Vogt aus Jever will mit einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg das Etikett „Verfassungsfeindin“ aus ihrer Akte streichen lassen. Morgen befassen sich die 19 Richter der Großen Kammer erstmals mit einem Fall dieser deutschen Besonderheit, die in Europa mit „Le Berufsverbot übersetzt wird.
Im April 1981 beginnt das Verfahren um die heute 45jährige Frau. Vorgeworfen wird ihr etwa, sie habe bei Landtagswahlen für die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) kandidiert oder im Namen der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) einen Kranz an einer niedergebrannten Synagoge niedergelegt.
Fünf Jahre später wird die Beamtin auf Lebenszeit, deren berufliche Qualifikation nie in Frage stand, wegen ihres außerschulischen Eintretens für die DKP vom Dienst suspendiert. 1987 folgt die Entlassung aus dem Schuldienst durch das Verwaltungsgericht Oldenburg. Dessen Urteil wird 1989 in letzter Instanz vom Niedersächsischen Disziplinarhof Lüneburg bestätigt. Eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht – eingelegt von ihrem damaligen Anwalt, dem heutigen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder (SPD) – wird wegen „Aussichtslosigkeit“ zurückgewiesen.
Mit dem Machtwechsel in Niedersachsen zur rot-grünen Koalition kam 1990 das Ende für den 1972 eingeführten Radikalenerlaß. Allein in Niedersachsen fielen ihm 97 LehrerInnen zum Opfer. Bundesweit zählte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft 11.000 Berufsverbotsverfahren mit 2.200 Disziplinarmaßnahmen und 136 Entlassungen.
Wie die meisten betroffenen niedersächsischen Kollegen steht auch Dorothea Vogt heute wieder vor der Klasse. Sie unterrichtet an ihrer alten Schule, dem Mariengymnasium in Jever. Nach viereinhalb Jahren Berufsverbot, in denen sie „sehr viel regionale und internationle Unterstützung“ erfuhr und zeitweise an der Landesbühne Nord als Theaterpädagogin arbeitete, sei sie „von den Kollegen mit offenen Armen empfangen worden“, erzählt Vogt. Denn auch das Kollegium habe „lange für meine Rückkehr gestritten“.
Die Richter des Europäischen Gerichtshofs müssen nun urteilen, ob das Berufsverbot gegen die Artikel 10 (Menschenfreiheit) und 11 (Vereinigungsfreiheit) der Europäischen Menschenrechtskommission verstoßen hat. Das Verfahren wird nach Ansicht von Vogts Anwalt Klaus Dammann – egal wie es ausgeht – „Auswirkungen auf mögliche Verfahren anderer Betroffener haben“. Für Dorothea Vogt ist der Gang nach Straßburg „der letzte Weg, zu meinem Recht zu kommen“. Noch immer ist sie in ihrer Personalakte rechtskräftig verurteilt. Das will Vogt nicht hinnehmen: „Ich bin und war keine Verfassungsfeindin, auch nicht viereinhalb Jahre lang.“ Gerd Roth, dpa
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