■ Mit dem Aufschwung auf du und du: Jobkrise & Pleitewelle
Berlin (taz) – Nirgends ist der Aufschwung näher als in den Reden des Bundeskanzlers. Jetzt springt der Konjunkturmotor wieder an im Freizeitpark Deutschland, und Helmut Kohl kann sich als Sieger fühlen. Gar nicht in seinen Propagandafeldzug von blühenden Landschaften und glücklichen Menschen dürften jedoch die neuesten Gruselnachrichten aus der Welt der Wirtschaft passen.
Die Hoffnung auf einen Abbau der Arbeitslosigkeit bleibe auf längere Zeit unerfüllt, prophezeien die Konjunkturforscher des sonst nicht gerade regierungskritischen Münchner Ifo-Instituts. Selbst wenn Wirtschaft und Produktivität um jährlich zwei Prozent wüchsen, werde die Beschäftigung bis zum Jahr 2010 gerade einmal das Niveau von 1992 (rund 29,5 Millionen Erwerbstätige) erreichen und damit gegenüber heute allenfalls um eine Million zunehmen. Zusätzliche Beschäftigung, man höre, entstünde nur noch durch eine Verkürzung der Arbeitszeit. Auch die Teilzeitinitiative, von der sich das Kabinett 1,5 Millionen Jobs erhofft, wird nach Auffassung der Konjunkturforscher total überschätzt. Die düstere Ifo-Bilanz für 1994: Am Ende des Jahres wird es 400.000 Arbeitslose mehr geben.
Schlechte Nachrichten kommen selten allein, hat sich wohl die Kreditschutzorganisation Creditreform gedacht und noch etwas auf die Schreckensmeldungen draufgepackt. Die Pleitewelle in Deutschland schwappt immer höher, und das trotz der spürbaren Konjunkturbelebung. Mit schätzungsweise 24.000 wird die Zahl der Unternehmenszusammenbrüche in diesem Jahr einen neuen Rekord erreichen. Bereits im ersten Halbjahr landeten 11.700 Betriebe vor dem Konkursrichter, der Schaden betrug rund 31 Milliarden Mark – eine geradezu astronomische Summe. Rund 9.800 Pleiten gab es allein in Westdeutschland, fast 20 Prozent mehr als im Vorjahr.
Der Bankrott kostet auch immer mehr Arbeitsplätze: Im ersten Halbjahr 1994 gingen allein in den alten Bundesländern 107.500 Stellen durch Firmenkonkurse verloren, in Neufünfland rund 30.000. In diesem Jahr dürften etwa eine Viertelmillion Arbeitnehmer ihr Einkommen durch Pleiten verlieren. Durch das fällige Konkursausfallgeld werden zudem bei der Bundesanstalt für Arbeit Milliardenschäden angerichtet.
Die Schuld für die Pleiten liegt oft bei den Geschäftsleitungen selbst, die mit Konkursverschleppungen, Buchführungsdelikten, Bilanzmanipulationen oder Vermögensverschiebungen ihre Betriebe ruinieren. Der Immobilienhai Schneider, die Metallgesellschaft und als jüngster Fall die Steinhagener Firma Balsam lassen grüßen. es
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