: Mit Tick, Trick und Track auf LSD
■ Irgendwie ko(s)misch: die Bremer NachwuchsdichterInnen beim lyrischen Coming-Out in der „Social Beat Poetry Session“
Offen soll das Mikrofon auf den „Social Beat Poetry Sessions“ sein, zu denen Günther Kahrs einmal monatlich in den AKAS-Kellerclub in der Weberstraße lädt. Dabei war ein Mikrofon auch am vergangenen Samstag nicht notwendig, damit sich die Vortragenden in dem klitzekleinen Etablissenent Gehör verschaffen konnten. In erster Linie sind bei den Sessions kurzentschlossene NachwuchsdichterInnen gefragt, aber wohl niemand hatte ernsthaft erwartet, daß Kahrs, mitteilungsfreudige Künstlerseele und Meister-Propper-Lookalike aus den Viertel, eine gute Gelegenheit zur Selbstinszenierung ungenutzt verstreichen lassen würde. Ausgerüstet mit Sonnenbrille und Kassettenrekorder erklärte er, daß der Tod das Thena des Abends sei. Grund: Neulich sei in seiner Gegenwart ein Mann auf den Ziegennarkt gestorben.
Dazu präsentierte der Zeremonienmeister Ausschnitte aus Radio-sendungen zu den drei Toten des Abends: Franz-Josef Strauß, Petra Kelly und Wolfgang Neuss. Ferner bekannte er sich zur Autosexualität („Ich liebe mich selbst“) und wartete auf seinen Auftrittspartner, der scheinbar verschlafen hatte und bis zum Schluß der Veranstaltung nicht mehr aus den Federn finden sollte. Für eine Performance mit einen Original-Polizeischlagstock ließ sich leider kein Freiwilliger aus dem Publikum finden.
Eigentlich unverständlich; schließlich setzte sich die kleine Besucherschar größtenteils aus Bekannten der Teilnehmer und Veranstalter zusammen. Ganz nach deren Geschmack waren die lyrischen Kostproben von Dennis Busch. Schon rein modisch betrachtet, paßte er von allen NachwuchsdichterInnen am besten in den knallbunten Keller: Schlaghose, riesige Gürtelschnalle, braun gemustertes Unterhemd. Dazu ein Gesicht plus Frisur, als versuchte er, wie Val Kilner auszusehen, der versucht, wie Jim Morrison auszusehen.
Der junge Mann hat gerade ein Buch namens „Orchideen & Peitsche“ (oder umgekehrt) veröffentlicht, im Eigenverlag natürlich. Selbstverständlich kommt in jedem seiner Gedichte das Wort „kosmisch“ vor. Gar nicht selbstverständlich: Das ganze war kein peinliches Herunternudeln alter Psychedelic-Klischees, sondern bediente sich einer etwas antiquierten Hipster-Sprache, um diese liebevoll ad absurdum zu führen. Hippie-Lyrik, die weiß, daß Hippie-Lyrik lügt – was ihrem reinen Herzen und ihrem Reiz aber gar nicht schadet. Buschs inbrünstig dargebotenen Texte handelten u. a. von Tick, Trick und Track, die sich an 250 g LSD laben,während Onkel und Großonkel der gleichgeschlechtlichen Entenliebe frönen. Ein andernmal geht es um den geballten Sex des Orangensaftes, der Bananen so völlig abgeht. „Bananen sind gelb,“ fiel da einer entgeisterten Zuhörerin als Kommentar ein.
Als Kahrs später noch über das Für und Wider des Feiertagegut- bzw. –schlechtfindens philosophierte, versuchte sie es noch einmal: „Dritte Oktober sind gelb.“ Das mag so nicht gestimmt haben, aber vielleicht arbeitete sie gerade an einen nicht uninteressanten Konzept, das sie ausgearbeitet bei der nächsten „Social Beat Poetry Session“ vorstellen wird. Andreas Neuenkirchen
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