: Mit Söldnern im Irak
Kino zwischen Individuen und Institutionen: „My Country, My Country“ von Laura Poitras und „Au-delà de la haine“ von Oliver Meyrou (Forum) schlagen verschiedene Wege der Repräsentation ein
VON BERT REBHANDL
„Der Krieg nach dem Krieg“ lautete der Titel eines Berichts von George Packer im New Yorker, von dem die Dokumentarfilmerin Laura Poitras so beeindruckt war, dass sie beschloss, selbst einen Bericht aus dem Irak zu verfassen. Ihr Film „My Country, My Country“ ist im diesjährigen Forum der Berlinale eine der interessantesten Positionen zur Frage von Wahrheit und Macht.
Im Zentrum stehen die Wahlen vom 30. Januar 2005. Der Film kehrt zunächst sechs Monate zurück in die Zeit, in der es noch ungewiss war, ob die USA den Irak so weit befrieden könnten, dass die Abhaltung von Wahlen mehr als nur eine Alibihandlung zur Legitimation der Besatzung wäre.
Bei einer Inspektion des Gefängnisses Abu Ghraib lernte Laura Poitras Dr. Riyadh kennen, der zum Protagonisten von „My Country, My Country“ wird. Der angesehene und gemäßigte Sunnit vertritt in der Radikalen Islam-Partei die Position, dass es besser ist, die Wahlen nicht zu boykottieren. Die Gespräche mit seinen Patienten nützt er auch zu politischen Fragen. Wen würden sie wählen? „Saddam Hussein“, sagt eine Frau, und lacht. Dr. Riyadh kann sich nicht durchsetzen. Seine Partei erscheint zwar auf den Stimmzetteln, der Boykott wird aber weitgehend eingehalten.
Die amerikanische Offensive in Falludscha, bei der viele Unschuldige ums Leben kamen, trug wesentlich zu dieser Entscheidung bei. Die katastrophale Situation in Bagdad, einer Stadt ohne gesicherte Versorgung und ein Minimum an Sicherheit, spielt ebenfalls eine Rolle. Angesichts der vielen Risiken im Irak grenzt es an ein Wunder, wie viel Material Laura Poitras drehen konnte, und welch privilegierten Zugang zu allen beteiligten Gruppen sie sich erschlossen hat. Sie hat mit der amerikanischen Armee gefilmt, wobei es allein in diesem Bereich schon enorm viele Fraktionen gibt. Sie hat die Wahlbeobachter der UN begleitet, ist mit den privaten Sicherheitsdiensten (den umstrittenen „subcontractors“) durch das Land gefahren, die von den Amerikanern beschäftigt werden, damit ihre militärische Präsenz ein stärker ziviles Gesicht bekommt, und sie ist immer wieder in die Wohnung der Familie von Dr. Riyadh zurückgekehrt. Fast alles hat Laura Poitras dabei allein gemacht, Kamera und Ton.
Die Wahlen wurden schließlich zu einem relativen Erfolg, und erst durch die Akzeptanz dieses Faktums wird dieser Film, dessen Kritik an der amerikanischen Besatzung einfach darin liegt, dass Iraker darin ausführlich zu Wort kommen, im besten Sinn dialektisch.
Individuen statt Parteien
Wie kompliziert die westliche Beobachterposition dabei ist, konnte im Kino an manchen Stellen erahnt werden. Immer noch bekommt jede Invektive gegen George W. Bush Szenenapplaus, während es im Irak doch längst darum geht, aus der von ihm geschaffenen „No-win-Situation“ (Poitras) einen Ausweg zu finden. „My Country, My Country“ verdankt sich selbst der amerikanischen Besatzung und dokumentiert trotzdem die raren Möglichkeiten, das Freund-Feind-Schema zu durchbrechen.
Laura Poitras bringt nicht eigentlich neue Informationen aus dem Irak – aber sie macht eine meistens unanschauliche Berichterstattung visuell konkret und stellt Protagonisten vor, wo die Politik nur Parteien kennt. In einem Land, dessen Institutionalisierung ganz am Beginn steht, ist dies der einzige Weg des „nation building“.
Wie ein mögliches Ziel dieser Modernisierung aussehen könnte, zeigte der französische Dokumentarfilm „Au-delà de la haine“ von Olivier Meyrou mit allen unausweichlichen Ambivalenzen. Frankreich zählt, neben den USA, zu den Staaten mit einem besonders ausgeprägten Republikanismus. Ein Strafprozess ist dabei immer auch ein Anlass für das Gemeinwesen, seine Belastbarkeit zu reflektieren. Im September 2002 wurde in Reims der 29-jährige François Chenu von drei Skinheads angegriffen und tödlich verletzt. Die Täter wollten eigentlich „einen Araber machen“, gingen dann aber auf den homosexuellen Chenu los.
Meyrou erzählt den Fall ganz aus der Perspektive der Opfer. Die Mutter, der Vater, die Schwester stehen mit ihrer Trauerarbeit im Mittelpunkt. Dabei und bei den Vorbereitungen auf den Prozess rücken immer stärker auch die Anwälte und Richter in den Blick, und am Ende kippt die ganze Angelegenheit auf eine prekäre Weise vom Persönlichen ins Allgemeine: Die Eltern Chenu verlesen einen offenen Brief, in dem sie die drei Täter (die im Film nie ins Bild kommen) zu einem Dialog einladen und dazu, sich in der Haft zu verantwortungsvollen Bürgern zu bilden. Die Chenus sprechen in dieser letzten Einstellung nicht mehr ihre eigene Sprache, sie klingen, als wären sie von der Republik (oder vom Filmemacher, der seine sehr intime Präsenz nie thematisiert) nach vorne geschickt, um einen nicht integrierbaren Fall von Barbarei doch noch gesellschaftlich zu „verarbeiten“.
Das Kino steht immer zwischen den Individuen und den Institutionen – paradoxerweise ist es Laura Poitras, die mit Soldaten und Söldnern durch den Irak fuhr, besser gelungen, den Individuen zu ihrem Recht der Repräsentation zu verhelfen, als Olivier Meyrou, der einen einzelnen Fall am Ende so stark verstaatlicht, dass die handelnden Personen nicht mehr für sich selbst sprechen.
„Au-delà de la haine“. Regie: Olvier Meyrou, Frankreich, 86 Min. 16. 2., 19 Uhr, CineStar 8; 17. 2., 17.15 Uhr, Arsenal 1; 18. 2., 19 Uhr, Delphi; 19. 2., 10 Uhr, Cinemaxx 3