: Mit Rüttgers auf die Standspur
CDU-Ministerpräsident Rüttgers setzt auf Wachstum und Arbeit, redet aber über Verantwortung und Werte: „Freiheit vor Gleichheit, privat vor Staat“. Doch wo die Jobs entstehen sollen, sagt er nicht
AUS DÜSSELDORFANDREAS WYPUTTA
Am Anfang steht die Floskel. „Nordrhein-Westfalen ist ein schönes Land“, beginnt CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers seine Regierungserklärung. Es folgt eine verdeckte ‚Schweiß und Tränen‘-Rede: Ein „neues Kapitel in der Geschichte unseres Landes“ wolle er aufschlagen, kündigt der Regierungschef an. Das werde „Opfer kosten, und jeder wird es merken“.
Wie sein Vorbild Helmut Kohl verspricht dessen ehemaliger Zukunftsminister die konservative Wende. „Unser Ziel ist die Wiederbelebung der sozialen Marktwirtschaft und die Rückbesinnung auf das christlich-jüdisch-abendländische Wertefundament, das ihr zugrunde liegt.“ Der Staat könne nur verteilen, was zuvor erarbeitet worden sei. „Freiheit vor Gleichheit, privat vor Staat, erarbeiten vor verteilen“ – das sind die Maximen, nach denen Rüttgers sein Regierungshandeln ausrichten will.
Über eine Stunde versucht Rüttgers dann zu erklären, was das heißen soll. Bittere Botschaften aber versteckt der Regierungschef lieber im Ungefähren. Die gesetzliche Rente ist nicht sicher, weiß der CDU-Landesvorsitzende im Gegensatz zu seinem Vorgänger Norbert Blüm. Bei Rüttgers klingt das so: „Die Solidargemeinschaft kann nur noch die Grundsicherung gewährleisten. Wer vorsorgt und sich abgesichert hat, darf nicht so behandelt werden, als hätte er nicht vorgesorgt.“
Auf dem Weg zu mehr „Selbstverantwortung“ setzt Rüttgers auf Arbeit, Arbeit, Arbeit. „Sozial ist, was Arbeit schafft“ – noch immer trägt der Ministerpräsident das Mantra seines Wahlkampfs vor sich her. Ein Konjunkturprogramm soll es aber nicht geben, die „Wirtschaftspolitik à la Keynes“ sei gescheitert. Stattdessen will die neue Landesregierung Standstreifen von Autobahnen für den Verkehr freigeben, um Staus zu vermeiden. Zur Gewinnung neuer Spielräume setzen CDU und FDP auf Entbürokratisierung und Schuldenabbau. „Wir werden die wenigen noch vorhandenen Vermögenswerte des Landes verkaufen müssen“, sagt Rüttgers. Auch die Sozialwohnungen der Landesentwicklungsgesellschaft LEG werden privatisiert. Sparen will die schwarz-gelbe Regierung bei Kohle und Windkraft. Die Steinkohlesubventionen sollen bis 2010 um 750 Millionen Euro gekürzt werden. Rüttgers spricht von „sozialverträglicher Anpassung“.
Der Rest ist Wettbewerb – ob an Schulen oder Hochschulen, in Forschung und Entwicklung. Selbst das Halbjahreszeugnis der dritten Klasse wird zum Leistungsindikator: „Leistung ist nichts Schlechtes und Leistungsbewertung nicht falsch.“ 1.000 neue Lehrerinnen und Lehrer will Rüttgers schon zum Beginn des neuen Schuljahres einstellen, relativiert seine Aussage aber sofort wieder. „Ich weiß, das ist sehr ambitioniert, und ich kann keine Garantie übernehmen, ob das klappt.“
Wie aber das Wachstum generiert, wo die neuen Jobs entstehen sollen, die einen selbsttragenden Aufschwung schaffen, sagt Rüttgers nicht. Als neue Beschäftigungsmöglichkeiten nennt er nur „haushaltsnahe Dienstleistungen“. Besserverdiener sollen die künftig von der Steuer absetzen können. Auch die „Ich-AGs“ lehnt der Ministerpräsident ab. Über die Höhe des Arbeitslosengelds (ALG) II von derzeit nur 345 Euro im Monat verliert Rüttgers kein Wort, will stattdessen die Bezugsdauer des einkommensabhängigen ALG I für ältere Arbeitslose verlängern – und statt dessen bei Jüngeren, die kürzer in die Arbeitslosenversicherung eingespart haben, sparen.
Gewerkschaften und Opposition reagierten entsprechend hart. „Es fehlen handfeste, praktikable Lösungsansätze zur Schaffung neuer Arbeitsplätze“, so DGB-Landeschef Walter Haas. Rüttgers habe keine neuen Ideen, seine Rede erinnere an die „geistig-moralische Wende“ Kohls, erklärte SPD-Fraktionschefin Hannelore Kraft. Auch die grüne Fraktionsvorsitzende Sylvia Löhrmann reagierte enttäuscht: „Die Regierungserklärung war an Beliebigkeit nicht zu überbieten. Jürgen Rüttgers bleibt sich treu.“