■ Mit Rollenspielen gegen den rechten Staatsfeind: Polizisten mimten Neonazis
Hannover (taz) – Ort der „Neonazi“-Versammlung war das Dorfgemeinschaftshaus in Ohrwege nahe dem niedersächsischen Kurort Bad Zwischenahn. Und was dort am Donnerstag morgen gebrüllt, gesungen und an Plakaten aufgehängt wurde, beschäftigt immerhin bereits die Staatsanwaltschaft im 15 km westlich gelegenen Oldenburg. An der Wand hinter dem Tisch der Versammlungsleitung hing ein Dutzend Hitler-Bilder, auch das Podium selbst war mit Konterfeis des „Führers“ und Hakenkreuzen stilgerecht drapiert. Vor diesem „Kommandotisch“ stellten sich dann die drei „Rädelsführer“ auf, hoben die rechte Hand zum Hitlergruß. Ihr Dutzend Anhänger stand von den Stühlen auf und tat es ihnen gleich, und gemeinsam brüllte man „Sieg Heil!“. Aus einem großen tragbaren Recorder erklang dann auch das Horst-Wessel-Lied, und weil zumindest das Versammlungs- Publikum die Nazi-Hymne noch nicht auswendig konnte, hielten sie in der freien linken Hand einen DIN-A-4-Bogen mit dem Text, damit sie auch richtig mitgrölen konnten. „Sieg Heil!“-Rufe erklangen auch wieder, als längst nicht mehr nur ein paar uniformierte Schutzpolizisten die „Neonazi-Versammlung“ interessiert beobachteten, sondern ein bis zwei Dutzend Beamte endlich massiv und auch mit Hilfe eines Megaphons ein Ende des Nazi-Spuks verlangten.
Im Ohrweger Dorfgemeinschaftshaus waren allerdings auch die vermeintlichen Neonazis in Bomberjacke oder Kampfanzug junge Polizisten. Die 11. Ausbildungshundertschaft der Oldenburger Schutzpolizei hat mit 40 Polizeischülern eine höchst realistische Übung veranstaltet: per Rollenspiel den Einsatz gegen Neonazis trainiert. Die Polizeischüler, die aus vollem Halse die rechten Parolen brüllten, waren „Freiwillige“. Im Versammlungsraum hatte man echtes, bei Neonazis beschlagnahmtes Material aufgehängt, und zur Vorbereitung war sogar die Melodie des Horst-Wessel-Liedes „einstudiert worden“. „Früher haben sie mehr den schwarzen Block geübt“, kommentierte der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski am Montag den Neonazi-Mummenschanz in Ohrwege, und für ihn kommt in solchen Übungen auch zum Ausdruck, „daß sich die Polizei jetzt stärker mit dem Rechtsradikalismus auseinandersetzt“.
Die Oldenburger Schutzpolizei hatte in der Tat von vornherein aus ihrer realistischen Übung kein Geheimnis gemacht. Man war mit Absicht in das Dorfgemeinschaftshaus gegangen, hatte sogar einen Reporter der lokalen Presse dazu eingeladen, wollte zeigen, „daß man nichts zu verbergen hat“, wie der niedersächsische Innenminister sagt. Nur den eigenen Kollegen von der Oldenburger Kriminalpolizei fehlte dann doch der Schuß Sarkasmus, den es für solcherlei Nazi-Übungen braucht. Die Kripo ermittelt inzwischen gegen die eigenen Kollegen im Auftrage der Oldenburger Staatsanwaltschaft wegen der Verwendung und Verbreitung von verbotener Nazi-Propaganda.
Der niedersächsische Innenminister allerdings hält die Übung nicht für strafrechtlich relevant, ist sich sicher, daß „die Beamten das alles in guter Absicht gemacht haben“. Er hält Übungen von Polizeischüler in realitätsnahen Situationen weiterhin für notwendig. Ein Rollenspiel habe den Vorteil, daß man sich in den anderen hineinversetzen und diesen damit auch besser bekämpfen könne, sagt er. Immerhin will er jetzt „überprüfen, in welchem Maße solche Übungen realistisch sein müssen“. Glogowski fürchtet um das Image seiner Polizei: „Niemand sieht schließlich gerne als Neonazis verkleidete Polizisten in der Zeitung.“ ü.o.
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