■ Mit Modell Deutschland auf du und du: Behäbige S-Klasse
Berlin (taz) – Das Klagen, der Mißmut und die Angst sind bekanntlich eine Seite der deutschen Seele. Dabei geht es den Glückskindern des Kontinents auf ihrer Insel des Wohlstands seit 40 Jahren mehr als gut, und trotz der derzeitgen Krise gibt es auch heute eigentlich wenig zu jammern.
Will man etwa dem Economist, dem weltweit wohl renommiertesten Wirtschaftsmagazin glauben, hat das „Modell Deutschland“ mit seinen drei Säulen politischer Konsens, Mitbestimmung und einer betont föderalen Regierungsform der weitgehend reibungsfreien Wohlstandsgesellschaft zum Durchbruch verholfen. Das Land ist heute reicher als Japan, die Investitionsquote kaum gesunken, in die Infrastruktur fließen weithin Milliardensummen, so daß Deutschland heute angesichts vieler, nicht quantifizierbarer Vorzüge kaum zu überbieten ist. Die Arbeitskosten wurden in diesem Jahr um fünf Prozent gedrosselt, und die Konjunktur faßt wieder Tritt. Was könnte also schöner sein?
So einfach haben es sich die Journalisten des Economist freilich nicht gemacht. Das Modell, mit dem Deutschland so lange so gut gefahren ist, sei bislang ungekannten Belastungen ausgesetzt. Neben sinkender und überalteter Bevölkerung ist es es nach Ansicht der Redakteure der jetzt schon krisenbehaftete Wohlfahrtstaat, der Deutschland am meisten zu schaffen macht und der ohne gründliche Überholung mit den Problemen nicht fertig werden wird. Auch von Veränderungen in der internationalen Wirtschaft kann sich das deutsche Modell nicht abschotten. Die traditionell hervorragende Qualität der Fertigung sieht sich anderswo angewandten flexibleren Produktionsmethoden gegenüber, während der in Deutschland nur schlecht entwickelte Dienstleistungssektor immer mehr zum Sorgenkind wird.
Wie weit der Konsens bereits aufgebraucht ist, zeigen auch die Unternehmen, die zentrale Tarifabschlüsse zunehmend in Frage stellen. Vor allem aber, so der Economist, wurde das Modell in den neuen Bundesländern überstrapaziert und habe sich mehr oder weniger totgelaufen. Hier hat die abrupte Einführung des bewährten Modells der alten Bundesrepublik Deutschland zu einem unnötig steilen Sturz in Produktion und Beschäftigung geführt und eine demographische Katastrophe losgetreten. Der Schaden wäre weitgehend vermeidbar gewesen, hätte die Politik nur anders gehandelt. So aber gleicht das Modell Deutschland heute der S-Klasse von Mercedes-Benz, dem luxuriösesten Auto des zuverlässigsten Herstellers – aber einem Schlitten, der drei Jahre nach seinem Start schon überarbeitet werden mußte. Vier Jahre nach der Wiedervereinigung, so der Economist, müsse auch das deutsche Modell einer Reform unterzogen werden. Nur glauben die Redakteure, daß dafür keine neuen politischen Theorien notwendig sind. es
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