■ Mit Mega Carriers auf du und du: Balzen in der Luft
Madrid (taz) – Die Zeiten der Singles mit Nationalfarben am Heck, staatlichem Finanzpolster unter Rumpf und bequemen Preisabsprachen sind für die Luftlinien der Welt vorbei. Statt Handelskrieg Hochzeitsfeiern: Sogar Delta und Nippon Airlines kooperieren. Im Kampf ums Überleben geht der Trend zum Mega Carrier, wie die globusumspannenden Zusammenschlüsse im Fachjargon heißen. Allerorten wird geflirtet.
Die belgische Sabena ist schon unter der Haube. Swissair kauft 49,5 Prozent ihrer Aktien. Otto Loepfe, Chef der Schweizer, triumphiert. Endlich stehen seine Flieger, trotz verlorenen EU-Beitritts-Referendums 1994, mit allen drei Rädern fest in Europa. Der Verbund, dem bereits heute die Singapore Airlines, die amerikanische Delta und die Austrian Airlines angehören, soll den alten Kontinent an die restliche Welt anschließen, so Loepfes Pläne.
Die SAS, Hausmarke Dänemarks, Schwedens und Norwegens, hat sich mit Lufthansa verlobt. Gegen dieses Aufgebot allerdings will Brüssels Wettbewerbskommissar van Miert Einspruch erheben. Die Frankfurterin steht nicht zum ersten Mal vor dem Traualtar: Mit der US- amerikanischen Unite erschließt sie die neue Welt, oberstes Gebot eines jeden Mega Carriers. Bangkok und Rio de Janeiro stehen ganz oben in der Gunst des proletarischen Teutonen. Der Mega Carrier bringt angeknackste Männerseelen mittels der brasilianischen Varig und der Thai Airways schnell und preisgünstig zur Therapie im Rotlichtmilieu. Mit der australischen Ansett ist die Zusammenarbeit geplant, mit der österreichischen Lauda Air und Luxair gehts gen Süden. Die British Airways, die ersten bei der Privatisierung, fliegen derweil mit US Air, der australischen Quantas, TAT, und Deutscher BA. Ein bißchen spröde setzt die Air France, noch immer in den roten Zahlen, ein eigenes Netz. Aktien bei der Air Afrique sollen die Anbindung des ehemaligen Kolonialreiches gewährleisten. Aber in den USA turteln die Franzosen leidenschaftlich mit Continental und American Airlines. Den Weg nach Asien soll eine Ehe mit der japanischen JAL ebnen.
Noch beschränken sich die meisten Mega Carriers auf die Bedienung gemeinsamer Linien. Aber die eheliche Wohnung mit gemeinsamer Wartung, Ausbildung und Marketing wird schon bald zum Alltag gehören. Das Ziel: Kosteneinsparung, weiterer Personalabbau inbegriffen.
Bis 1997 ist es nicht mehr lange hin, und den Heiratsmarkt im Himmel über Europa – davon sind alle Experten überzeugt – werden nur vier oder fünf europäische Gesellschaften überleben. Reiner Wandler
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