: Mit Mao vor der Klassenjustiz
■ Sympathisant der "Revolutionären Kommunisten" wegen Verunglimpfung des Staates zu 1.600 DM Geldstrafe verurteilt / Flugblätter vor Weddinger Schule verteilt
Sie marschieren bei jeder Demonstration der Linken mit und nerven mit ihren endlosen Haßtiraden auf „das imperialistische Ausbeutersystem“. Ihre Flugblätter unterschreiben sie mit „Revolutionäre Kommunisten“. Dahinter verbergen sich Vollblutstalinisten, Anhänger des Führers der peruanischen Guerilla „Leuchtender Pfad“ und der Maoistischen Türkischen Kommunistischen Partei (TKP/ML). Die Massen bringen sie nicht auf die Beine, allenfalls einige vor den Schulen mobilisierte Kids, die mit verklärtem Blick zu den „revolutionären Fightern“ aufschauen. Die Öffentlichkeit nimmt von ihnen keine Notiz. Daß sie nun doch Erwähnung finden, verdanken sie der Staatsanwaltschaft. Diese klagte den 33jährigen Sympathisanten der „Revolutionären Kommunisten“, Ulrich L., wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole an.
Gestern wurde der arbeitslose Arbeiter, der ein T-Shirt mit großem Mao-Konterfei trug, von einer Staatsschutzkammer des Landgerichts zu 1.600 DM Geldstrafe verurteilt. Auf den Zuschauerbänken drängten sich seine Freunde und Unterstützer. Ihre Meinung über den Prozeß war auf Flugblättern nachzulesen, die vor dem Prozeß verteilt worden waren: „Freispruch für Brother Ulrich L.“, denn dieser habe nichts anderes getan, als „für Gerechtigkeit für Mete Ekși“ einzutreten. Der 19jährige Türke Ekși war im November 1991 an den Folgen einer Verletzung gestorben, die ihm einer von drei deutschen Brüdern bei einer Schlägerei mit einem Baseballschläger beigebracht hatte. Der Täter wurde Anfang '94 zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Das Gericht betonte damals jedoch ausdrücklich, daß keinerlei Ausländerfeindlichkeit als Tathintergrund festgestellt werden konnte. Dies hatte den Revolutionären Kommunisten natürlich nicht geschmeckt. Bereits vor dem Prozeß hatten sie in Flugblättern von einem rassistischen Mord an Mete Ekși gesprochen.
Mit einem Stapel solcher Flugblätter war der Angeklagte Ulrich L. vor einer Schule im Wedding festgenommen worden. Danach saß er drei Wochen in U-Haft, weil er keinen festen Wohnsitz hatte. Doch dies blieb nicht die einzige überzogene Reaktion der Staatsgewalt. Sie klagte Ulrich L. an, weil sie sich durch den Inhalt der Flugblätter verunglimpft fühlte. In dem Text hieß es unter anderem: „Ihr Staat, ihre Bullen, Richter und Staatsanwälte und ihr ganzes System stehen hinter den Mördern von Mete Ekși und wollen ihn schützen (...) Es liegt an uns allen, die Strafe zu vollstrecken.“ Damit sei das Grundrecht auf Meinungsfreiheit „weit überzogen“, stand für den Staatsanwalt fest, der gestern drei Monate Haft auf Bewährung forderte. Seine Begründung: „Die Diktion“ des Flugblatts könne bei einzelnen ausländischen Jugendlichen „auf fruchtbaren Boden“ fallen, weil diese durch die rechtsextremistischen Übergriffe verunsichert seien. Darum dürften solche Leute wie der Angeklagte im Gegensatz zu früher nicht mehr einfach nur „als Spinner“ abgetan werden. Der Verteidiger beantragte demgegenüber Freispruch. Es sei nun einmal Fakt, daß sich die in dem Flugblatt thematisierten „rassistischen Angriffe von Bullen und Faschos“ häuften. Aber auch wenn man anderer Meinung sei, sei dies kein Grund, die dicke Strafkeule herauszuholen. „Der demokratische Staat muß auch mit extremer Kritik leben können.“ Plutonia Plarre
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