■ Mit Lehrlingen auf du und du: Starker Mann gesucht
Nürnberg (taz) – Wenigstens in einem Punkt scheint inzwischen zusammenzuwachsen, was zusammen gehört. Bei ihren Umfragen unter Lehrlingen in Ost und West kam das Berliner Bundesinstitut für Berufsbildung zum Ergebnis, dass sich die Kriterien für die Wahl des Berufes in den alten und neuen Bundesländern kaum noch unterscheiden. „Der Job soll Spaß machen“ steht mit 66 Prozent im Westen und 79 Prozent im Osten an erster Stelle der Gründe, sich für eine bestimmte Ausbildung zu entscheiden.
Auf den weiteren Plätzen folgen „Sicherheit vor Entlassung“ und die Freude, überhaupt einen Ausbildungsplatz gefunden zu haben. Weiterhin wichtig in Ost wie West: Eignung für den Beruf und gute Aufstiegschancen. Eine möglichst hohe Ausbildungsvergütung hingegen interessiert nur jeden fünften Lehrling.
Und was ist den „Azubis“ sonst noch wichtig im Leben? Auch bei dieser Frage gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West: Gesundheit und Ausbildung, saubere Umwelt und soziale Sicherheit, Urlaub und das Zusammensein mit Freund oder Freundin.
Doch bei allen Gemeinsamkeiten zwischen Auszubildenden in West und Ost stellten die Forscher auch große Unterschiede fest. Noch immer fühlen sich mehr als 70 Prozent der jungen Menschen zuerst ihren Landsleuten in der ehemaligen DDR verpflichtet, mehr als die Hälfte der befragten Lehrlinge fühlen sich im Osten als Bürger zweiter Klasse und meinen: „Die Wessis wollen nur absahnen!“ Und so finden autoritär-nationalistische Parolen bei den jungen Ostdeutschen auch weitaus mehr Zustimmung als bei ihren Altersgenossen im Westen: „Schluss mit der weichen Welle im Strafvollzug“ meinen 73 Prozent (im Westen 48), „Todesstrafe für Terroristen, Rauschgifthändler und Sexualmörder“ wollen 66 Prozent (im Westen 38). Selbst den dumpfen Aussagen „Deutschland den Deutschen“ stimmen im Osten 20 Prozent der Lehrlinge zu (im Westen 13), „Kanaken raus“ fordern im Osten 13, im Westen 7 Prozent.
Zu eigenem Engagement in kirchlichen Gruppen, Bürgerinitiativen oder Gewerkschaften haben die ostdeutschen Auszubildenden viel weniger Lust als westdeutsche Lehrlinge – stattdessen fordert fast die Hälfte von ihnen einen „starken Mann, um unsere Probleme zu lösen“, im Westen weniger als ein Viertel. Horst Peter Wickel
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