■ Mit Lateinamerikas Inflation auf du und du: In die Knie gezwungen
Rio de Janeiro (taz) – Das Gespenst der Hyperinflation in Lateinamerika scheint vorerst gebannt. Brasiliens Statistikamt IBGE verkündete stolz, daß Brasilien 1995 mit einer Inflation von knapp 22 Prozent das beste Ergebnis seit 1979 erzielt habe. Darüber können die Nachbarländer nur müde lächeln.
Den ersten Platz nimmt Argentinien mit einer Geldentwertung von 1,6 Prozent im vergangenen Jahr ein. In Chile verlor das Geld im gleichen Zeitraum um 8,2 Prozent an Wert. Peru, Uruguay, Paraguay und Bolivien pendeln um die Zehn-Prozent-Marke. Kolumbien nähert sich mit einem Index von 19,46 Prozent der brasilianischen Inflationsrate an. Allein Mexiko hat sich noch nicht von dem Börsenkrach im Dezember 1994 erholt: Nach der Abwertung des Peso stieg die Inflation im vergangenen Jahr auf 52 Prozent.
Das Rezept von Weltbank und Währungsfond ist für ganz Südamerika praktisch identisch. Für die Wirtschaftswissenschaftler aus Washington sind zur Kontrolle der Inflation eine rigide Haushaltskontrolle sowie der Abbau von Zollschranken erforderlich. Brasilien, Argentinien und Mexiko koppelten zudem ihre nationalen Währungen an den US-Dollar, was zu einer künstlichen Überbewertung des brasilianischen Real und des argentinischen wie des mexikanischen Peso führte. Die dadurch in Gang gebrachte Flut billiger Importprodukte bremst Preiserhöhungen und zwingt die nationalen Industrien, sich der Konkurrenz des Weltmarktes zu stellen. Die Last der Auslandsschulden wird neu verhandelt, und neue Kredite werden gewährt, freilich nur unter der Bedingung, das die Länder ihre Staatshaushalte sanieren. Einige Länder finanzieren mit dem eingesparten Geld und den Einnahmen durch die Privatisierung die negative Handelsbilanz, die sich aus der Überwertung der nationalen Währung ergibt, und die Auslandsschulden.
Daß die rigide Finanzpolitik verheerende volkswirtschaftliche Auswirkungen hat, bleibt hinter den niedrigen Inflationsraten verborgen. Sowohl in Argentinien als auch in Brasilien zwang die Importwelle insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, die die Mehrheit der Arbeitsplätze stellen, in die Knie. In Argentinien wurde die Arbeitslosigkeit noch durch die radikale Privatisierung von Staatsunternehmen verstärkt, die Hunderttausende von Staatsangestellten um ihren Posten brachte. „Lieber ein bißchen Inflation als Rezession und Arbeitslosigkeit“, kritisierte Argentiniens Expräsident Raul Alfonsin kürzlich in der Zeitung Clarin den Kurs seines Amtsnachfolgers Carlos Menem. Astrid Prange
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