■ Mit Krisenbranchen auf du und du: Chemie sieht schwarz
Berlin (taz) – Was ist nur in den Chefetagen der deutschen Chemiekonzerne los? Seit sich die Branche mit dem schlechten Image auf rasanter Talfahrt befindet, plagen Kummer und Selbstzweifel die einst so erfolgsverwöhnten Manager. Der beispiellose Boom der 80er Jahre ist längst vorbei – der deutschen Chemie, auf die 1993 das vierte Krisenjahr in Folge wartet, steht in diesem Jahr ein gewaltiger Strukturwandel bevor. Weltweite Überkapazitäten, Absatzeinbrüche und ein rapider Preisverfall haben vor allem die drei Chemieriesen Hoechst, BASF und Bayer in Schwierigkeiten gebracht. Noch in diesem Jahr, verkündete der Chemie-Verbandspräsident Wolfgang Hilger am Mittwoch abend, wird das vermasselte Geschäft 20.000 Chemiearbeitern den Arbeitsplatz kosten.
„Wir würden das letzte Jahr am liebsten gleich vergessen“, kommentierte der frustrierte Hoechst-Chef die Lage der Verbandsunternehmen. Kein Wunder, denn obwohl der Umsatz der chemischen Industrie 1992 noch einmal von 167 Milliarden auf knapp 171 Milliarden Mark gesteigert werden konnte, sind die Profite um bis zu 30 Prozent geschmolzen – und das nach einem Rückgang von bereits 20 Prozent im Jahr 1991. Nur noch mit verbrauchernahen Erzeugnissen wie Kosmetik, Pharmaprodukten oder Fotochemie läßt sich Geld machen; bei den umweltschädlichen Pflanzenschutzmitteln und Produkten der Clorchemie brach der Absatz 1992 um 15 beziehungsweise 12,4 Prozent ein. Das ist für die ohnehin stark belasteten Böden und Gewässer gar nicht schlecht, die Chemiemanager dürfte das freilich wenig freuen. Der Feind der Branche, die sich so gerne als Umwelt-Musterschüler darstellt, ist denn auch gleich ausgemacht: hohe Umweltschutzauflagen würden die Kosten nach oben treiben, außerdem erweise sich die bürokratische Regelungssucht als Innovationshindernis, wie das Beispiel Gentechnologie zeige.
Noch düsterer als für den Westen malt Hilger die Zukunftsaussichten für die Chemiestandorte in Ostdeutschland aus: bei Verlusten von rund zwei Milliarden Mark im vergangenen Jahr fragt sich der Verbandschef wohl nicht erst seit heute, ob es sich überhaupt noch lohne, diese industriellen Kernbereiche zu erhalten, für deren Produktion es ohnehin keine Märkte gibt. Dort kaufen fast nur die Gussen, und selbst die haben im letzten Jahr ein Drittel weniger abgenommen als noch 1991. In der Ostchemie arbeiten derzeit noch knapp 70.000 Beschäftigte – 44 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Erwin Single
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