Mit „Ilona“ gegen Erwerbslosigkeit

Die drastische Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt trifft Brandenburg wie kaum ein anderes Bundesland/ Perspektivreiche Projektideen sind allerdings spärlich  ■ Aus Luckenwalde Ulrike Helwerth

„Ilona“ fährt für Frauen – auch für solch illustre wie Regine Hildebrandt, wenn diese mal wieder durch brandenburgische Lande tourt, um vor Ort nach dem Rechten zu sehen. „Ilona“, ein Fahrdienst für Frauen, ist das Aushängeschild der „Luckenwalder Beschäftigungs- und Aufbaugesellschaft“, kurz „Luba“. Und diese wiederum wurde vor einem Jahr aus der Taufe gehoben. Anlaß genug für Brandenburgs Arbeitsministerin Hildebrandt, das Projekt mit ihrem Besuch zu beehren. „Luba“-Geschäftsführer Jörg Kräker ist sichtlich zufrieden, daß er mittlerweile 220 Menschen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) untergebracht hat. Der 31jährige betont gern, daß 180 dieser ABMs mit Frauen besetzt werden konnten: „Wenn wir etwas Maßgerechtes für sie zusammenschneidern und das was Schönes ist, dann machen sie fast alles und sind dankbar, wenn sie sich selbst bestätigen können.“

Die meisten von ihnen arbeiteten einst beim VEB „Volltuch“, einer traditionsreichen Tuchmacherei, die zu DDR-Zeiten mehr als 400 Menschen, davon zu über 70 Prozent Frauen beschäftigte. Im November ereilte die Textilfabrik, wie auch andere Betriebe im Industriestädtchen Luckenwalde südlich von Berlin, das vorhersehbare Schicksal: sie wurde von der Treuhand dicht gemacht. Doch rührige Männer, Verwalter aus Stadt und Kreis, übernahmen den Betrieb und gründeten die „Beschäftigungs- und Aufbaugesellschaft“.

Die „Luba“ setzt auf Modellprojekte gegen Frauenarbeitslosigkeit, denn das legen Arbeitsmarktdaten und Arbeitsförderungspolitik im Land Brandenburg nahe. Schließlich hat sich der Anteil erwerbsloser Frauen im vergangenen Jahr auch in Luckenwalde stetig erhöht und liegt heute bei knapp 68 Prozent. Die einstigen Arbeiterinnen des VEB „Volltuch“ verkaufen jetzt Second- hand-Kinderkleidung, vertreiben Öko-Spielzeug, binden Bücher oder drucken Kranzschleifen. Ein „blanker Gemischtwarenladen“, sagt Jörg Kräker – „der von der Wiege bis zum Grab reicht.“ Brandenburgs Ministerin für Arbeit, Frauen, Soziales, Rat und Tat pustet bei solchen Worten in den passierten Gemüseeintopf aus der „Luba“-Kantine und kommentiert: „Det is makaber“.

„Ilona“, das Renommierprojekt der „Luba“, steht für „Innovativer Lokaler Nahverkehr“. Zehn Frauen im Alter zwischen 22 und 50 Jahren sind hier beschäftigt. In einem kleinen Raum im alten „Volltuch“-Gebäude sitzt Ingrid Herold neben einem Funkgerät. 20 Jahre arbeitete die gelernte Verkehrskauffrau in der Finanzbuchhaltung des Luckenwalder Kraftverkehrs. Jetzt ist sie „der Chef“ von „Ilona“, entwirft Fahrpläne, koordiniert Dienste, sorgt dafür, daß die vier Kleinbusse pünktlich rollen. Zwei „Ilona“-Busse sind täglich von 5 bis 20 Uhr „auf Linie“, ersetzen fahrplanmäßig und auf festen Routen die großen Ikarusse, die außerhalb des Berufsverkehrs auf den langen Strecken zwischen Kreisstadt und umliegenden Gemeinden viel zu hohe Verluste einfuhren. Zusätzliche Routen zu den neuen Kommunalämtern wurden eingerichtet und neun neue „Ilona“-Haltestellen in der Kreisstadt – sinnvolle Ergänzung des grobmaschigen Nahverkehrsnetzes. Ein dritter Bus fährt Essen und Schulgruppen, ein vierter steht in Reserve.

Zu Beginn ihrer Nachmittagsschicht steigt Ines Kuhle in einen der Sieben-Sitzer und lenkt ihn gekonnt aus dem Betriebshof hinaus auf die Straße. Auf der knallroten Karosserie prangt „Ilona“, darunter: „Frauen fahren für Frauen“: Natürlich nicht exklusiv – aber vorwiegend. Die meisten Fahrgäste sind ältere und erwerbslose Frauen, auch SchülerInnen, UmschülerInnen. Fahrpreise orientieren sich bei „Ilona“ - zum Ärger der ortsansässigen Taxiunternehmen - am Nahverkehrstarif; die kürzeste Strecke kostet eine Mark, für jeden weiteren Kilometer kommen 20 Pfennige hinzu. „Ilona“ ist attraktiv, die Auslastung liegt bei 60 Prozent, rechnet Ingrid Herold vor. Sie ist froh, daß sie mit 50 Jahren noch diesen Job bekommen hat – obwohl die ABM erst einmal bis 1993 befristet ist.

Auch die 31jährige Ines Kuhle hätte sich nie träumen lassen, daß sie mal hinter dem Steuer eines japanischen Kleinbusses ihr Geld verdienen würde. Mit siebzehn kam sie zum VEB „Volltuch“ und lernte dort Textilfacharbeiterin. Zur Personenkraftfahrerin ließ sie sich umschulen, weil sie das Projekt „gut“ fand.

Mittlerweile hat Ines Kuhle mindestens drei Haltestellen mit dem rot-weißen „Ilona“-Schild passiert – von Fahrgästen keine Spur. Der Nachmittag ist trübe und naß. Selbst vor „Aldi“ steht kein Mensch. Vorbei an den brachliegenden Ländereien ehemaliger LPGs geht's hinaus nach Gottsdorf. Die Haltestelle liegt gottverlassen da, nicht eine Oma in Sicht, die zum Friedhof oder zu den Enkeln möchte.

„Schlechtes Wetter“, tröstet Einsatzleiterin Ingrid Herold und erzählt von vielen dankbaren Passagieren und kleinen sozialen Diensten, die die FahrerInnen gratis nebenbei leisten. „Die Leute kennen uns inzwischen, und wir werden gebraucht“, sagt sie, und dieses Gefühl hebt die Stimmung bei „Ilona“. Eine „Marktlücke“ nennt „Luba“-Chef Kräker Frauenprojekte wie „Ilona“, weil sie auf dem ABM- Markt überdurchschnittlich gefördert werden, und sei es „zur Vertuschung der Statistik“. Zum Aufspüren weiterer Lücken beschäftigt die „Luba“ eigens drei Mitarbeiterinnen in der „Leitstelle für Arbeit und Frauen“. Sie ist Teil des Modellprojektes „LAUF-Netz“, das vom Hildebrandtschen Ministerium aufgebaut und finanziell unterstützt wird mit dem Ziel, die Arbeitsmarktchancen für Frauen in Brandenburg zu verbessern – eine bislang einmalige Initiative in den neuen Bundesländern gegen die überproportional anwachsende Frauenerwerbslosigkeit.

15 Leitstellen gibt es inzwischen in verschiedenen Städten des Landes. Trägerinnen sind „Arbeitsförderungs-, Beschäftigungs- und Strukturentwicklungsgesellschaften“, Kommunen oder auch Frauen- und Familienzentren. Die Mitarbeiterinnen, zwei bis fünf pro Ort, arbeiten meist auf ABM-Basis, das Arbeitsministerium schießt 50.000 DM pro Leitstelle zu. Sie sollen, so das Konzept aus Potsdam, in Koordination mit Entwicklungsträgern, Arbeitsämtern, Wirtschaftsverbänden und Bildungsträgern in der Region „wirtschaftsstrukturpolitisch“ wirken.

Übersetzt auf Luckenwalde heißt das: Seit Monaten wurschtelt die Leitstelle an einem Projekt „Kinderhotel“. Die Idee: Frauen sollen dort ihre Kinder unterbringen können, wenn sie zu Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen für Tage, Wochen oder Monate von zu Hause weg müssen und privat keine Betreuung organisieren können. Ein Haus ist vorhanden, erwerbslose Erzieherinnen und Bedarf gibt es en masse, wie versichert wird: „Eine Mutti hat ihr Kind schon angemeldet.“ Doch das Arbeitsamt lehnte die ABM- Stellen ab, wohl auch, weil im Kinderheim der 17 Kilometer entfernten Kleinstadt Betten leer stehen. Jörg Kräker ist jedoch nicht kleinzukriegen. Eine Idee jagt bei ihm die nächste, ein Antrag den anderen. Vielleicht ließe sich über einen Antrag für eine „Kindersauna“ mit angegliederter Physiotherapie – Stichwort: Gesundheitsprophylaxe – doch noch etwas für das „Kinderhotel“ machen. Formulierkunst ist alles. Je verrückter die Anträge, desto besser die Chancen auf Bewilligung, hat der „Luba“- Geschäftsführer gelernt. Schließlich beschäftigt er auf ABM-Basis nicht nur eine Märchenerzählerin für Kindereinrichtungen, sondern seit jüngstem auch den Drehbuchautor für ein Kabarettstück mit dem Titel „Treufuß“ – „zum Abbau des Frusts gegenüber der Treuhand“.

Ungläubig blickt Regine Hildebrandt bei solchen Worten von ihrem Gemüseeintopf hoch und sagt dann mit dem ihr eigenen Realitätssinn: „Man muß das eben so hinformulieren, daß es systemkonform ist.“ Beim „Kinderhotel“ bleibt sie dennoch skeptisch: „Sie werden das Heim nicht ausgelastet kriegen, da können Sie es noch so lange ,Hotel‘ nennen.“ Denn welche Mutter bringe ihre Kinder schon gern ins Heim. Die Ministerin kennt ihre Brandenburgerinnen. Doch die Mitarbeiterinnen der Luckenwalder Leitstelle lassen sich nicht entmutigen. Bis zum letzten Jahr waren Elfi Reiprich (41), Erika Anis (52) und Doris Dreßler (38) als Textilingenieurinnen beim VEB „Volltuch“ beschäftigt. Jetzt drücken sie wochenweise die Schulbank und lassen sich zu Expertinnen in Sachen „Frauenerwerbslosigkeit“ fortbilden. Da geht es um Arbeitsförderung, Existenzgründung, um den europäischen Strukturfonds, um Sponsoring und die richtige Gesprächsführung.

Gewiß alles nützliche Dinge, doch der zündende Funke für Frauenarbeitsplätze-schaffende Projekte mit Perspektive springt selten über. Im Hildebrandtschen Ministerium heißt es unter vier Augen schon mal selbstkritisch: „Wir haben selbst wenig überzeugende Ideen.“

Wie auch. Hängt doch über allem die Novelle des Arbeitsförderunggesetzes (AFG) wie ein Damoklesschwert: Die Streichung von Orientierungskursen, die Reduzierung von Qualifizierungsmaßnahmen, die Kürzung der ABM-Löhne auf 80 Prozent, all das trifft Frauen besonders hart. Die Bonner Sparpläne bedrohen in Ostdeutschland rund 100.000 ABM-Stellen. Zusammen mit den gekürzten Zuschüssen für Fort- und Weiterbildung wären allein in Brandenburg nächstes Jahr 25.000 Menschen erneut ihre Arbeit los, rechnet Regine Hildebrandt bei ihrem Besuch in der „Luba“ vor. Hartnäckig hält sie daran fest, daß es auf Dauer billiger sei, Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit. Und als Jörg Kräker das „Gießkannenprinzip“ kritisiert, nach dem die Beschäftigungsgesellschaften im Land bedacht würden, wird sie fast fuchsig. Schließlich seien diese Gesellschaften „eine wichtige Komponente für ein Recht auf Arbeit in der Verfassung.“

Auch bei der „Luba“ gehen nächstes Jahr die Hälfte aller derzeit bestehenden Arbeitsplätze verloren, wenn die AFG-Novelle Gesetz wird. Für „Ilona“ stehen die Chancen jedoch gar nicht schlecht: Die roten Kleinbusse und ein Teil der Fahrerinnen sollen in das neue Nahverkehrskonzept des Kreises integriert werden. Drei Städte in Brandenburg würden das Modell „Ilona“ gern übernehmen, und es gibt bereits Pläne für „Ilona2“: eine Stadtlinie mit Elektrobussen. Für diese umweltfreundliche Idee interessiert sich inzwischen auch Bad Salzuflen, westdeutsche Partnerstadt von Luckenwalde. Auf diesen „Ideentransfer auch mal von Ost nach West“ sind die bei der „Luba“ ziemlich stolz.