Mit Henning Scherf auf du und du: Auch Politiker wollen lernen
■ Scherf präsentierte die intellektuelle Ausbeute seiner Lissabon-Exkursion
Die Stadt: ein Begriff! Aber auch eine Tatsache. Also ein Problem. Oder eine Herausforderung? Der muß man sich stellen. Das tut man nach gängigem Brauch durch Kommunikation. Dies erkannte auch Henning Scherf; und flog für fünf Tage mit fünfzehn Behördenmenschen, Wissenschaftlern und Vertretern aller wichtigen Presseorgane (also ohne taz) nach Lissabon, um mit OB-Kollege Soares (Marios Sohn!) zu sprechen und von der Expo zu lernen.
Was? Und schon wieder muß kommuniziert werden. Das tat Henning Scherf denn auch auf einer Art Pressekonferenz: „Plötzlich standen wir da auf dem Flughafen; – mit unseren Klamotten; – und haben uns gefragt: Was wollen wir da eigentlich.“ Schon hier wird die existentielle Tiefendimension des Reiseunterfangens deutlich. Und in diesen Tiefenschichten gibt es – EXPO und touristische Attraktivität hin oder her – verblüffende Ähnlichkeiten zwischen Bremen und Lissabon: Die Einwohnerzahl schnellt zurück. „20 Prozent sind abgewandert. Lissabon war mal eine Millionenstadt und hat jetzt weniger als 700.000 Einwohner.“ Auch dort muß sich ein floppender Hafen Umstrukturierungen gefallen lassen. „Jetzt ist unsere Frage: Wie wird das vermittelt, um diesen Paradigmenwechsel durchzusetzen.“ Die Antwort: „Ich habe gelernt, daß sie sagen, wir wollen keine Konkurrenz zur Innenstadt.“ Das Richtige sagen lernen: Für Politiker eine elementare Tätigkeit. Zum Beispiel „Paradigmenwechsel“: von der Scheibenerde zur Kugelerde, vom Schöpfungsmythos zum Darwinismus und jetzt also auch vom Hafen zum Gewerbegebiet. Und da ermöglicht Lissabon Einblicke, die die ganze Kantsche Kritik der Urteilskraft weit hinter sich lassen: „Für große Veränderungen braucht man große Anstrengung.“ Groß: Ohne Zweifel auch dies ein Begriff. In Bremen weckt er Assoziationen an Ocean- und Spacepark. Die werden – wenn überhaupt – nicht zur EXPO fertig. Und das ist gut so. – Ups? – Jaja: Denn anders geriete man unter Zeitdruck. Und der führt – auch das kann man am Modellfall Lissabon lernen – zu Plänen, die vielleicht nicht realisiert werden. Zwar werden vielleicht auch die träge dahinschlurfenden Bremer Parks nicht realisiert. Aber das ist ein anderes Thema.
Gut, daß man zur Klärung dieser grundlegenden Zeitproblematik gerade zufällig einen Zeittheoretiker dabei hatte. Der stellt laut Scherf solche Fragen: „Wie gibt es Konsens über Zeitnutzung?“ (Schließich gingen schon ganze Ehen baden bei der Frage: Kino oder Sport?). Die Zeit der EXPO kann man als „Einwärmeveranstaltung“ be-trachten. Die Parks präsentieren sich als „klare, identifizierbare Adresse“, vielleicht sogar mit Postleitzahl.
Aber „das Kompliziertere“ ist sowieso die Sache mit dem „Fortsetzungsnutzen“. Also: Nicht einfach eine EXPO hinstellen, sondern mit aller Kraft nachdenken, was danach in die Gebäude kommt. Lissabon entschied sich für Messen und Ministerien. Welch mutige neue Perspektiven ergeben sich da plötzlich für Bremen. Sollte der Oceanpark floppen, steckt man die ganzen Bürgerschaft in Tauchausrüstung und läßt im Großaquarium tagen.
Aber kein Lernerfolg ohne Vernetzung, Kooperation, echte, lebendige Partnerschaft: Andere Hafenstädte bieten sich da an. „Wir haben eine ganze Reihe identifiziert, Bilbao, Helsinki, Genua, Haifa, sind aber noch nicht zu Ende mit dem Suchen.“ Schlechter Atlas?
Viele „hochengagierte“ Menschen haben also einiges gelernt über „identitätsstiftende Angelegenheiten“, „historische Anstrengungen“ und überdies über „identitätsstiftende Großanstrengung“. taz-Frage: Was kostet das? Der Kollege von buten & binen blitzt böse mit den Augen. Scherfreferentin Rambalski genervt: „Für jeden einen Flug, Übernachtung, dreimal am Tag Essen, das können Sie sich ausrechnen.“ Menschen mit Visionen dulden eben keine Kleinkrämerei. bk
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