Ministerpräsidentin in Thüringen: Lieberknecht zittert sich ins Amt
Die neue schwarz-rote Koalition braucht überraschend drei Wahlgänge, um die zweite deutsche Ministerpräsidentin zu wählen. Bodo Ramelow trat im dritten Wahlgang an.
Christine Lieberknecht schien noch so verwirrt, dass sie nach Amtseid und kurzer Ansprache wieder auf ihren Abgeordnetensitz statt auf die Regierungsbank zurückkehren wollte. Denn ihre als Formalie erwartete Wahl zur neuen Thüringer Ministerpräsidentin geriet zunächst zu einer Blamage. In den ersten beiden Wahlgängen fehlte ihr jeweils ein Votum zur erforderlichen absoluten Mehrheit von 45 Stimmen. Erst der im dritten Wahlgang überraschend gegen sie antretende Linken-Fraktionschef Bodo Ramelow trieb ihr mit 55 Stimmen mehr als die dann erforderliche einfache Mehrheit zu.
Nach der Landtagswahl vom 30. August verfügen die CDU über 30 und die SPD über 18 Mandate im 88 Sitze zählenden Erfurter Landtag. Ende September hatte sich die SPD-Führung gegen heftigen Widerstand der Parteibasis für eine Koalition mit der CDU an Stelle eines ebenfalls möglichen Bündnisses mit Linken und Grünen entschieden. Während die CDU am vergangenen Sonntag den Koalitionsvertrag einstimmig billigte, stimmte der SPD-Parteitag nur mit Bedenken zu. Christine Lieberknecht ist seit Sonntag auch CDU-Landesvorsitzende. Ihr Vorgänger, der bisherige Ministerpräsident Dieter Althaus, hatte nach den drastischen Stimmenverlusten der Union von rund 12 Prozent das Handtuch geworfen.
Die neue Landtagspräsidentin Birgit Diezel (CDU) gab sichtlich schockiert die Ergebnisse der ersten beiden Wahlgänge bekannt. Die Fraktionsvorsitzenden der Koalitionsparteien behaupteten anschließend, ihre Abgeordneten hätten in der geheimen Wahl geschlossen votiert. Doch hartnäckig blieb es bei 1 ungültigen Stimme und mindestens 3 Enthaltungen, während sich die Opposition von Linker, FDP und Bündnisgrünen geschlossen verweigerte.
Überraschend mussten dann neue Wahlzettel gedruckt werden, weil Linken-Frontmann Bodo Ramelow als Gegenkandidat auftrat. "Wir konnten nicht ahnen, dass CDU und SPD so schlecht aufgestellt sind", begründete er diesen Schritt. Im dritten Wahlgang zeigte sich die Koalition geschlossen und bekam zudem Unterstützung von den 7 Abgeordneten der FDP. Die neue Ministerpräsidentin lobte daraufhin die Weisheit der Verfassungsväter, die für solche Situationen einen dritten Wahlgang vorgesehen haben.
Auf den ersten Blick können die 4 Abweichler bei der zerstrittenen SPD vermutet werden. Doch auf die Landesliste hatte Landeschef Christoph Matschie vor allem seine Gefolgsleute aussichtsreich platziert, so dass die Landtagsfraktion fast nur aus Schwarz-Rot-Anhängern besteht. Seine Stellvertreterin Heike Taubert nährte inzwischen den Verdacht, Althaus-Jünger in der CDU hätten mit einem Denkzettel für Lieberknecht "alte Rechnungen" begleichen wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben