: Mindeststrafe -betr.: "Gegen den starren Glauben an den Vater Staat" und "Für die legale Wut", taz vom 9.6.88
betr.: „Gegen den starren Glauben an den Vater Staat“, und „Für die legale Wut“, taz vom 9.6.88
(...) Beim Thema Vergewaltigung hätte die grüne Bundestagsfraktion mit einer eindeutigen Parteilichkeit für Frauen eine sinnvolle Aufgabe gehabt. In erster Linie natürlich um dabei mitzuwirken, daß dieses Thema öffentlich diskutiert wird. Oder sie könnte der Frage nachgehen, was dies für eine Gesellschaft ist, in der nach Schätzungen jede dritte Frau in ihrer Kindheit, oft über Jahre, in der Regel von nahen männlichen Vertrauenspersonen sexuell mißbraucht wurde. „Therapieangebote in differenzierester Form“ wie Waltraud Schoppe es formuliert, fordere ich auch, aber nicht für Männer sondern für Frauen. Ich bin gegen eine Tätertherapie, wenn nach der Vergewaltigung wieder nur die Männer zum Nabel der Welt gemacht werden oder wenn gar, wie im Hamelner Täter-Modell, Frauen nach der Tat erneut gedemütigt und beleidigt werden. Im übrigen kann ich mir eine sinnvolle Tätertherapie in Sachen Vergewaltigung und Mädchenmißbrauch genauso wenig vorstellen, wie eine Therapie für Wirtschaftskriminelle oder Umweltverseucher. Denn diese sind struktruelle gesellschaftliche Verbrechen und nicht die Taten einzelner Verrückter.
Als Vorbeugung wünsche ich mir Maßnahmen und Einrichtungen, die Mädchen ein gesundes Selbstbewußtsein vermitteln. Mädchen sollen stolz sein auf ihren Körper, sie sollen ihr Geschlecht bewundern können, sie müssen darin bestärkt werden, daß niemand das Recht hat, diesen Körper gegen ihren Willen zu berühren. Frauen und Mädchen müssen dazu aufgerufen werden, sich gegen Beleidigungen und Erniedrigungen zur Wehr zu setzen. Sie sollen dazu angeregt werden, sich mit allen Kräften und Waffen gegen Übergriffe zu verteidigen. Mädchen und Frauen müssen Hilfe und Unterstützung erhalten, um sich selbst zu schützen.
Da wir von der Realisierung solcher Forderungen Lichtjahre entfernt sind, erscheint es mir äußerst dreist, wenn die Mehrheit der BT-Fraktion hier von Resozialisierung faselt. Es ist eine Ungeheuerlichkeit, wenn ich diesen Punkt weiterdenke: Wohin soll wer sozialisiert werden? Soll der Vergewaltiger wieder eingegliedert werden in die Reihe der nicht strafbaren Frauenhasser? Soll er statt der Vergewaltigung den Bumsbomber nach Thailand nehmen? Oder sich per Katalog mit Umtauschrecht eine Ehefrau bestellen? Oder sich die Prostituierte vom Babystrich nehmen, die in aller Regel nach jahrelanger Mißbrauchserfahrung in der Familie dorthin gekommen ist? Wenn ihr Resozialisationsmaßnahmen fordert, dann fangt doch bitteschön mit dem naheliegenden an: Notwendig sind Resozialisierungschancen für betroffene Frauen. Denn Vergewaltigung und Mißbrauch bedeutet für Frauen lebenslänglich, ohne vorzeitige Entlassung!
(...) Ich habe nicht, wie Waltraud von uns Befürworterinnen diffamierend behauptet, „den Mann als Feindbild klar vor mir“. Denn ich glaube unverzagt daran, daß „der Mann“ nicht als Frauenhasser geboren wurde. Ich bin davon überzeugt, daß der Mann nicht alleine von seinen „Trieben“ geleitet wird, also unter das Niveau von Tieren gefallen ist. Ich bin davon überzeugt, daß die geschlechtshierarchische Gewalt überwunden werden kann, wenn Frauen stark werden. Dafür ist es notwendig, für eine Übergangszeit ausschließlich Partei für Frauen und Fraueninteressen zu ergreifen und gegen eine angeblich angeborene Deformation der Geschlechter durch die uns auferlegten gesellschaftlichen Rollen zu streiten. Genau dies meint feministische Politik. (...)
Marianne Schwan, Solingen
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