Minderheitenpolitikerin wird Ministerin: Politik von der anderen Warte aus
Um Karriereplanung, sagt Anke Spoorendonk, habe sie sich nie gekümmert. Jetzt wird sie die erste Ministerin der Minderheitenpartei SSW in Schleswig-Holstein.
KIEL taz | Anke Spoorendonk sitzt in der Lobby des Kieler Landeshauses, vor sich eine Tasse Cappuccino und eine Salzbrezel. Es ist Mittagszeit. Gerade hat sich der Landtag konstituiert, 69 Abgeordnete haben im Chor geschworen, sich nach besten Kräften für Schleswig-Holstein einsetzen zu wollen.
Für Anke Spoorendonk war es die fünfte Vereidigung, seit 1996 schon gehört die 64-Jährige dem Landtag an. Nun wird sie ihn verlassen: Von ihrem angestammten Sitz in der ersten Reihe des Parlaments wechselt die Spitzenfrau der Minderheitenpartei SSW auf die Regierungsbank. Ein Weg ohne Rückkehr: Spoorendonk legt für den Platz am Kabinettstisch ihr Landtagsmandat nieder.
„Daran musste ich mich gewöhnen“, sagt sie. Aber inzwischen stehe sie zu der Entscheidung und mache es gern. „Es ist eine neue Herausforderung“, setzt sie an, schüttelt den Kopf mit der hellen Kurzhaarfrisur.
„Ich kann das Wort nicht mehr hören, aber es ist ja so. Es ist Politik aus einer anderen Warte betrachtet.“ So klingt niemand, der nach Regierungsmacht strebt, nach Ministerwürden, Dienstwagen und anderen Versuchungen des Amtes.
Der Parteikollege wollte nicht Minister werden
Tatsächlich haben die Spitzenpolitiker des Südschleswigschen Wählerverbandes den auf sie zukommenden Ministerposten eher wie einen Schwarzen Peter zwischen sich hin und hergeschoben – so klingt es jedenfalls bei Lars Harms, Nummer zwei in der Landtagsgruppe, der selbst als Minister im Gespräch war. Er sei familiär und mit anderen Dingen zu sehr eingespannt – danke, kein Interesse. Damit blieb keine Wahl: „Wir konnten niemand nehmen, dem man erst erklären muss, wie Politik in Schleswig-Holstein geht“, sagt Spoorendonk.
Ihr muss das keiner erklären. Der SSW, als Minderheitenpartei von der Fünf-Prozent-Klausel befreit, erreichte in den vergangenen Jahren meist vier und ein paar Zehntel Prozent der Stimmen und entsprechend wenig Landtagssitze. Zur Fraktionsstärke reichte es nie, die Abgeordneten – drei sind es in dieser Legislaturperiode – bilden nur eine Gruppe.
Dennoch schaffen sie es, immer wieder auch Akzente zu setzen. Allein optisch: Spoorendonk mag helle Kleiderfarben, bunte Schals und Schmuck. Vor allem aber inhaltlich: Der SSW spricht zu jedem Thema im Landtag und besetzt die meisten Ausschüsse.
Zwar gewähren die anderen Parteien den kleinen „Dänen“ einige Sonderrechte, dennoch brauchen die Südschleswiger – die zeitweise zu zweit im Parlament saßen – Sachkenntnis, Zeitaufwand und Standfestigkeit.
Sie legt ihr Landtagsmandat nieder
„Man muss ein grobes Gerüst draufhaben und Prioritäten setzen. Wir konzentrieren uns auf Punkte, in denen wir vielleicht etwas bewegen können“, hat Lars Harms vor einigen Jahren geschildert, wie die Arbeit in der Mini-Fraktion zu schaffen ist. Doch der SSW kann es sich nicht leisten, dass Spoorendonk als Ministerin ihr Mandat behält. Sie muss es niederlegen, damit jemand nachrücken kann.
In den Koalitionsverhandlungen erhielt der SSW das Justizministerium. Kultur und Europa gehören ebenfalls dazu. Spoorendonk hat noch nicht entschieden, was für sie die „Klammer“ in dieser Kombination ist. Vermutlich Europa, Justiz ist es nicht unbedingt. Spoorendonk folgt im Amt auf den Richter und Parteilosen Emil Schmalfuß.
Spoorendonk hat in Kopenhagen Geschichte und Germanistik studiert und war vor der Politikkarriere Lehrerin an der dänischen Duborg-Skolen in Flensburg. „Ich bin auf die Struktur angewiesen, auf die Kompetenz der Mitarbeiter“, sagt die designierte Ministerin.
Für den Sachverstand und den reibungslosen Ablauf holt sie sich einen Juristen und Kenner des Hauses: Als Staatssekretär ist Eberhard Schmidt-Elsaeßer vorgesehen, seit 1988 in der Landesverwaltung tätig und bereits unter der großen Koalition Staatssekretär im Justizressort. Zurzeit ist er in gleicher Position Mitglied der Landesregierung von Sachsen-Anhalt.
Mit drei Sprachen aufgewachsen
Sie selbst habe sich um Karriereplanung nie gekümmert, sagt Spoorendonk. Aber Politik spielte immer eine Rolle, und Politik hieß SSW: „Wir gehören ja zur Minderheit, und der SSW gehört zur Minderheit.“ Ihr Onkel zählte zu den Gründern der Partei, ihr Vater saß im Schleswiger Stadtrat.
Spoorendonk selbst, die als Anke Hinrichsen in Busdorf bei Schleswig geboren wurde, war Kreistagsabgeordnete, bevor sie gefragt wurde, ob sie in den Landtag wollte, als Nachfolgerin der Ein-Mann-Fraktion Karl-Otto Meyer. Die Mutter zweier Kinder sagte Ja und mischt seither im Kieler Parlament mit.
Hilfreich war, dass ihr Mann ihr als Hausmann den Rücken freihielt. Er starb 2007 – ein „Umbruch“ sei das gewesen, sagt Spoorendonk, ein schwaches Wort für das Ende einer Beziehung, die seit 1968 bestanden hatte. Die beiden lernten einander beim Studium in Kopenhagen kennen, wo John Spoorendonk aufgewachsen war.
Sein holländischer Vater war zur Zwangsarbeit nach Norddeutschland verschleppt worden. Die Eltern von Anke Hinrichsen hatten sich nach dem Krieg für die dänische Minderheit entschieden. „Butterdänen“ lautet für solche Leute das Spottwort. Anke Spoorendonk ist mit drei Sprachen aufgewachsen: Deutsch, Dänisch und Platt.
Was sie als Ministerin erwartet, übersieht sie noch nicht ganz. Mehr Termine und mehr Aufgaben vermutlich. Sie wird auch das neue Amt wuppen, sicher. „Aber ich will auch weiter mit meiner Familie leben, meine Enkel groß werden sehen“, sagt die 64-Jährige. „Das geht sicher jedem so.“
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