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Miliz nennt UN-Angaben LügeStreit über Hungerhilfe für Somalia

Die Islamisten bestreiten eine Hungersnot in Somalia. Hilfswerke fordern derweil die Zusammenarbeit mit lokalen Händlern, denn es fehlt an Geld, nicht an Lebensmitteln.

Lebensmittelzuteilung eines muslimischen Hilfswerks an Somalis. Bild: dapd

BERLIN taz | Kurz vor einer Geberkonferenz am Montag über die von den Vereinten Nationen erklärte Hungersnot in Somalia bahnt sich eine Polemik gegen die Versorgung der Hungernden an. Ein Verantwortlicher der islamistischen Shabaab-Miliz, die die vom Hunger am schwersten betroffenen Gebiete im Süden Somalias kontrolliert, wies die am Mittwoch von der UNO vorgenommene Einstufung der Notlage als Hungersnot zurück.

"Es gibt eine Dürre in Somalia, aber keine Hungersnot", sagte Shabaab-Sprecher Sheikh Mohamud Rage: "Was die UNO sagt, ist zu 100 Prozent falsch." Andere Shabaab-Verantwortliche hatten zuvor internationale Hilfe in ihrem Gebiet willkommen geheißen. Rage betonte jetzt, die bisher nicht zugelassenen UN-Hilfswerke - an erster Stelle das UN-Welternährungsprogramm WFP - blieben weiterhin ausgesperrt.

Das WFP hatte sich Anfang 2010 aus den Shabaab-Gebieten zurückgezogen, aus Sicherheitsgründen, und um den Islamisten keine Steuern zahlen zu müssen. Andere Hilfswerke waren vor Ort geblieben, allerdings unter schwierigen Umständen. Am Donnerstag kündigte das WFP die Einrichtung einer Luftbrücke in die somalische Hauptstadt Mogadischu an. Dort amtiert eine von internationalen Truppen unterstützte Übergangsregierung, die die Shabaab-Milizen bekämpft. Auch eine Wiederaufnahme der Hilfe im Süden werde in Betracht gezogen, erklärte die UN-Agentur. "Die Leute im Süden Somalias sind zu krank und zu schwach, um Nahrung suchen zu gehen, und daher müssen wir sie ihnen bringen", sagte WFP-Leiterin Josette Sheridan.

Todesrate von fast 22 Prozent

Nach dem jüngsten Lagebericht der humanitären UN-Abteilung OCHA vom Donnerstag sind 2,8 Millionen Menschen im Süden Somalias auf Hilfe angewiesen. In Teilen der jetzt zu Hungersnotgebieten erklärten Provinzen Südbakool und Lower Shabelle seien bis zu 50 Prozent der Menschen akut unterernährt, die Sterberate liege bei bis zu sechs pro 10.000 pro Tag, auf das Jahr hochgerechnet eine Todesrate von fast 22 Prozent, so der Bericht. Von den Kindern unter fünf Jahren stürben bis zu 20 von 10.000 pro Tag - bei gleichbleibender Rate wären nach 16 Monaten alle Kinder tot. "Bei gleichbleibender Hilfe wird sich die Hungersnot in den nächsten ein bis zwei Monaten auf alle Regionen des Südens ausbreiten", analysiert das Frühwarnnetzwerk FEWS der in der Region aktiven Hilfswerke in seiner Vorlage für die UN-Hungersnotausrufung.

Die FEWS-Darstellung der Lage in Südbakool und Lower Shabelle zeigt, dass die Hungersnot nicht über Nacht ausgebrochen ist. Die lokal produzierten Erntevorräte gingen bereits im April zur Neige, worauf massive Preissteigerungen einsetzten - Mais war im Mai 2011 um bis zu 154 Prozent teurer als ein Jahr zuvor, Hirse um bis zu 240 Prozent teurer. Arme Familien könnten sich jetzt kein Essen mehr leisten, auch dann nicht, wenn sie ihr Vieh verkauften: Hatte man für den Erlös einer Ziege im Shabelle-Flusstal im Herbst 2010 noch knapp 150 Kilogramm Mais bekommen, seien es im Juni 2011 weniger als 30 gewesen.

Die FEWS-Analyse zeigt, dass es im Süden Somalias weniger an Nahrung mangelt denn an Geld, um sie zu kaufen. Denn die Lebensmittelmärkte sind laut Analyse keineswegs zusammengebrochen. Der grenzüberschreitende Handel floriere: Sogar Reis und Nudeln seien erhältlich.

Es verwundert da nicht, wenn die Shabaab-Milizen im Süden Somalias den Hungeralarm jetzt als politisch motiviert zurückweisen. Mit dem Argument, die Versorgung von Hungernden müsse vor Milizen geschützt werden, war bei Somalias letzter großer Hungersnot 1992 die in einem Desaster endende US-Militärintervention begründet worden. Empfohlen wird in der FEWS-Analyse heute ein anderer Weg. Hilfsaktionen sollten mit Importeuren und Händlern gemeinsam geplant werden, heißt es; außerdem sollten neue Saatgüter und Vieh den Bauen Südsomalias rechtzeitig zur nächsten Regenzeit wieder eine Grundlage zur Selbständigkeit bieten.

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10 Kommentare

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  • M
    Marcus

    Glaubt irgentdjemand die Shabaab hat skrupel die von Rod hier beschriebene Tatik Anzuwenden. Die Machtmittel an die Benötigten Lebensmittel zu kommen haben Sie auf jeden Fall. Sie Verwenden das Verhungern der eigenen bevölkerung um Tributzahlungn zu erzwingen. Ob dies direckt geschiet durch "abgaben" der Hielfswerke und die Gewinne für Sie arbeitender Händler oder ob die Händler nur auf eigene Rechnung Arbeiten und hinterher abkassiert werden ist letztlic egal. Sie haben die Mittel das problem zu Lösen verdinen aber lieber daran.

     

    Für jeden mit einen Funken Mitgefühl stellt sich die Frage ob jetzt Bezahlt werden soll um das Finannzierungsmodell in Zukunft öffter zu sehen, oder ob man die Menschen Hungern lässt. in gewissen Sinnes ist beides Unmenschlich und ich bin froh nich Entscheidungsträger einer Hielfsorganisation zu Sein.

  • S
    speyside

    1. Wozu stellt die UN unfundierte Hochrechnungen auf Basis von heute ermittelten Sterberaten an? Selbst wenn die Dürre noch 16 monate anhalten sollte (unwahrscheinlich), sind dann nicht alle Kinder tot, da es sich wohl eher um ein antiproportionales Wachstum handelt. Wenn Menschen sterben ist mehr Essen für den Rest da (= Preise fallen) - grausam, aber wahrscheinlich.

    Um Spendengelder einzutreiben, sollte der UN doch hoffentlich die jetzige Statistik von 6 Toten/10000/Tag reichen.

     

    Ich verstehe jedenfalls die Wut der Somalis, die sich halbverhungert von irgendwelchen westlichen Consultants und Statisten ausquetschen lassen müssen und dann mit dem Versprechen auf zukünftige Hilfe abserviert werden.

     

    2. Die Al Shabab wird wohl keine Probleme haben, den Menschen zu erzälen, dass die Hilfsorganisationen Trojanische Pferde des bösen Westens sind.

    Viele Ostafrikaner haben, meiner Erfahrung nach, die Angewohnheit alle Aktionen und Akteure des gestrigen und heutigen Westens in einen Topf zu werfen. Wenn es nicht gerade Mittag ist, hat dieser Topf mehr Schattenseiten als Sonnenflecken (1992/93, etc.). Das Schwarz-Weiß-Denken hat hier auf einer anderen Ebene überlebt.

     

    3. Dank der Globalisierung fehlt den Menschen in Somalia nicht das Essen sondern das Geld dieses auch zu kaufen. Schön, dass die Hilfsorganisationen doch noch erkannt haben, dass es nicht darum geht mit Flugzeugen teure Kalorienkekse per Gießkannenprinzip abzuwerfen, sondern darum, somalische Händler zu bezahlen, die uneingeschränkten Zugang haben und über Erfahrung und Vertriebswege verfügen. Ich traue den Händlern. Ich traue ihnen sogar zu, faire Verteilungsaktionen einzuleiten.

     

    Nutzen:

     

    - weniger teure UN Gehälter zahlen

    - keine direkte Gefahr für Nothelfer von den Milizen

    - billigere Lebensmittelpreise

    - keine westliche Intervention auf somalischen Boden, die propagandistisch ausgeschlachtet werden könnte

     

    Problematisch ist, dass in Somalia keine medizinische Direkthilfe geleistet werden kann. Doch das scheint unter den Drohungen der Al Shabab ohnehin ausgeschlossen.

     

    Gruß aus Ostafrika.

  • S
    speyside

    1. Wozu stellt die UN unfundierte Hochrechnungen auf Basis von heute ermittelten Sterberaten an? Selbst wenn die Dürre noch 16 monate anhalten sollte (unwahrscheinlich), sind dann nicht alle Kinder tot, da es sich wohl eher um ein antiproportionales Wachstum handelt. Wenn Menschen sterben ist mehr Essen für den Rest da (= Preise fallen) - grausam, aber wahrscheinlich.

    Um Spendengelder einzutreiben, sollte der UN doch hoffentlich die jetzige Statistik von 6 Toten/10000/Tag reichen.

     

    Ich verstehe jedenfalls die Wut der Somalis, die sich halbverhungert von irgendwelchen westlichen Consultants und Statisten ausquetschen lassen müssen und dann mit dem Versprechen auf zukünftige Hilfe abserviert werden.

     

    2. Die Al Shabab wird wohl keine Probleme haben, den Menschen zu erzälen, dass die Hilfsorganisationen Trojanische Pferde des bösen Westens sind.

    Viele Ostafrikaner haben, meiner Erfahrung nach, die Angewohnheit alle Aktionen und Akteure des gestrigen und heutigen Westens in einen Topf zu werfen. Wenn es nicht gerade Mittag ist, hat dieser Topf mehr Schattenseiten als Sonnenflecken (1992/93, etc.). Das Schwarz-Weiß-Denken hat hier auf einer anderen Ebene überlebt.

     

    3. Dank der Globalisierung fehlt den Menschen in Somalia nicht das Essen sondern das Geld dieses auch zu kaufen. Schön, dass die Hilfsorganisationen doch noch erkannt haben, dass es nicht darum geht mit Flugzeugen teure Kalorienkekse per Gießkannenprinzip abzuwerfen, sondern darum, somalische Händler zu bezahlen, die uneingeschränkten Zugang haben und über Erfahrung und Vertriebswege verfügen. Ich traue den Händlern. Ich traue ihnen sogar zu, faire Verteilungsaktionen einzuleiten.

     

    Nutzen:

     

    - weniger teure UN Gehälter zahlen

    - keine direkte Gefahr für Nothelfer von den Milizen

    - billigere Lebensmittelpreise

    - keine westliche Intervention auf somalischen Boden, die propagandistisch ausgeschlachtet werden könnte

     

    Problematisch ist, dass in Somalia keine medizinische Direkthilfe geleistet werden kann. Doch das scheint unter den Drohungen der Al Shabab ohnehin ausgeschlossen.

     

    Gruß aus Ostafrika.

  • S
    speyside

    1. Wozu stellt die UN unfundierte Hochrechnungen auf Basis von heute ermittelten Sterberaten an? Selbst wenn die Dürre noch 16 monate anhalten sollte (unwahrscheinlich), sind dann nicht alle Kinder tot, da es sich wohl eher um ein antiproportionales Wachstum handelt. Wenn Menschen sterben ist mehr Essen für den Rest da (= Preise fallen) - grausam, aber wahrscheinlich.

    Um Spendengelder einzutreiben, sollte der UN doch hoffentlich die jetzige Statistik von 6 Toten/10000/Tag reichen.

     

    Ich verstehe jedenfalls die Wut der Somalis, die sich halbverhungert von irgendwelchen westlichen Consultants und Statisten ausquetschen lassen müssen und dann mit dem Versprechen auf zukünftige Hilfe abserviert werden.

     

    2. Die Al Shabab wird wohl keine Probleme haben, den Menschen zu erzälen, dass die Hilfsorganisationen Trojanische Pferde des bösen Westens sind.

    Viele Ostafrikaner haben, meiner Erfahrung nach, die Angewohnheit alle Aktionen und Akteure des gestrigen und heutigen Westens in einen Topf zu werfen. Wenn es nicht gerade Mittag ist, hat dieser Topf mehr Schattenseiten als Sonnenflecken (1992/93, etc.). Das Schwarz-Weiß-Denken hat hier auf einer anderen Ebene überlebt.

     

    3. Dank der Globalisierung fehlt den Menschen in Somalia nicht das Essen sondern das Geld dieses auch zu kaufen. Schön, dass die Hilfsorganisationen doch noch erkannt haben, dass es nicht darum geht mit Flugzeugen teure Kalorienkekse per Gießkannenprinzip abzuwerfen, sondern darum, somalische Händler zu bezahlen, die uneingeschränkten Zugang haben und über Erfahrung und Vertriebswege verfügen. Ich traue den Händlern. Ich traue ihnen sogar zu, faire Verteilungsaktionen einzuleiten.

     

    Nutzen:

     

    - weniger teure UN Gehälter zahlen

    - keine direkte Gefahr für Nothelfer von den Milizen

    - billigere Lebensmittelpreise

    - keine westliche Intervention auf somalischen Boden, die propagandistisch ausgeschlachtet werden könnte

     

    Problematisch ist, dass in Somalia keine medizinische Direkthilfe geleistet werden kann. Doch das scheint unter den Drohungen der Al Shabab ohnehin ausgeschlossen.

     

    Gruß aus Ostafrika.

  • W
    World

    Sehr guter Artikel!

    ... der gut die vielschichtigen Auswirkungen der Lieferungen von WFP beleuchtet. Besser als das was AFP, spiegel, zeit etc. zum Thema geschrieben haben.

     

    Es fehlt noch die Erwähnung, dass auch islamische Organisationen in Somalia aktiv sindz.B. Islamic Relief Worldwide

    - siehe http://fts.unocha.org/pageloader.aspx?page=emerg-emergencyCountryDetails&cc=som

  • P
    Peter

    So lange wir noch Getreide und Mais für Sprit verarbeiten und uns noch rühmen wie Grün wir sind.

    Dann stellen sich die Grünen auch noch hin wir sollen

    den Armen helfen gegen die Hungersnot wie past das den zusammen.

  • P
    Peter

    So lange wir noch Getreide und Mais für Sprit verarbeiten und uns noch rühmen wie Grün wir sind.

    Dann stellen sich die Grünen auch noch hin wir sollen

    den Armen helfen gegen die Hungersnot wie past das den zusammen.

  • R
    Rod

    Während meines Studiums habe ich 6 Monate in Uganda verbracht. Die Hilfsorganisation leistete medizinische Hilfe. Meine Erfahrung von dort war folgende: Es ist alles vor Ort vorhanden! Aber die Leute können es nicht kaufen, weil sie kein Geld haben! So benötigten wir auch keine Hilfslieferungen aus Europa, sondern vor allem Geld. Die benötigten Medikamente haben wir vor Ort gekauft, was sogar günstiger war, als sie in Europa zu kaufen und als Hilfsgüter dorthin zu schicken.

    In ganz Afrika verhält es sich so, dass Wohlstand und Not geographisch dicht beieinander liegen. Es kann sein, dass in einer Stadt das Leben blüht, aber die ersten Hungernden trifft man bereits keine zwei Kilometer vom Stadtzentrum im Umland an.

     

    Ein weiterer Punkt, den mir Äthiopier berichtet haben ist derjenige: Die Depots von Regierung und Armee sind randvoll. Wenn es zu Hungersnöten oder zu Flutkatastrophen kommt, dann bleibt die Armee auf Distanz, damit ausländische Presseteams von den schlimmsten Katastrophenherden Bilder machen können. Mit diesen Bildern bitten dann die Regierungen dieser Staaten um Geld und Entwicklungshilfe. Äthiopier klagen darüber, dass die Regierung Hilfe unterlässt, um Situationen eskalieren zu lassen, damit es leichter ist, im Westen um Geld zu bitten. Hilfslieferungen würden mitunter auf dem Schwarzmarkt landen, Medikamente aus Hilfslieferungen würden mitunter umverpackt und zu regulären Preisen nach Europa reimportiert.

  • M
    Mohammad

    "islamistischen Shabaab-Miliz"

     

    Was soll diese Diffamierung? Das ist eine normale, islamische Gruppe die sich nicht vom ungläubigen Westen beeinflussen lässt!

  • GS
    Gunnar Sturm

    Lügen UNO und TAZ ... Herr Johnson, wann gibt es mal wieder einen Artikel über Elfenbeinküste?

     

    Da hat die UNO nun auch nicht alles richtig gemacht, deshalb: auch UNO Meldungen dürfen angezweifelt werden:

     

     

    http://www.jeuneafrique.com/Article/ARTJAJA2635p022-029.xml2/cpi-securite-laurent-gbagbo-forces-nouvellescote-d-ivoire-les-comzones-maitres-d-abidjan.html

     

    und

     

    ivoireleaks,de