Militärdokumente zum Irakkrieg: Folter als Randnotiz
Die von Wikileaks veröffentlichten Dokumente belegen zahlreiche Fälle von Folter und Misshandlungen. Ihr Fazit ist stets dasselbe: "Weitere Ermittlungen sind nicht notwendig".
WASHINGTON taz | Die von Wikileaks veröffentlichten geheimen Militärdokumente aus dem Irakkrieg zeigen den Alltag der Militärs - und der ist alles andere als friedlich: Über 100.000 getötete ZivilistInnen, Misshandlungen von Gefangenen durch die irakischen Sicherheitskräfte und die US-Armee und eine fatale Rolle privater Söldnerfirmen- das sind ihre Kernaussagen.
In etlichen Berichten wird geschildert, wie Gefangene gedemütigt, angeschossen, mit Kabeln, Ketten und Schlagstöcken geschlagen wurden oder schwerste Verbrennungen erlitten. Das Fazit dieser Berichte ist stets das gleiche: "Weitere Ermittlungen sind nicht notwendig."
Die Dokumente umfassen den Zeitraum von 2004 bis 2009, das schließt die Jahre 2006 und 2007 ein, in denen der Krieg am stärksten eskalierte. Damit decken sie den größten Teil der US-Kriegführung unter Präsident George W. Bush ab - und fast das erste Jahr der Regierung Obama. Besondere Aufmerksamkeit verdienen jene Berichte, aus denen hervorgeht, dass die US-Armee, und vermutlich auch die britische, von Folter und Misshandlungen durch die irakischen Sicherheitskräfte wusste, aber nichts dagegen unternahm.
Vielmehr besagte die 2004 von der US-Militärzentrale ausgestellte Anordnung "Frago 242", dass in Fällen von Misshandlungen von Irakern durch irakische Sicherheitskräfte lediglich eine Notiz angefertigt werden sollte - aber keine weitere Untersuchungen folgen sollten.
2009 etwa wird von einem Gefangenen berichtet, der mit schweren Verätzungen durch Säure, zahlreichen Prellungen und Blutergüssen und mehreren Amputationen ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Er hatte sich zuvor mehrere Tage unter dem Vorwurf, eine Sprengfalle gelegt zu haben, in Militärgewahrsam befunden. Die Vorfälle wurden zwar an die zuständigen US-Kommandeure weitergegeben, eine Untersuchung wurde zugesagt, zu Verhaftungen kam es jedoch nicht.
Einem anderen Mann, der von irakischen Sicherheitskräften in einem unterirdischen Bunker gefangen gehalten wurde, wurden die Hände hinter dem Rücken gefesselt und er wurde an den Handgelenken an der Decke aufgehängt und mit Elektroschocks gefoltert. Der Mann wurde später von US-Militärärzten behandelt, die Verletzungen wurden notiert und die Berichte weitergeleitet. Fazit: "Weitere Ermittlungen sind nicht notwendig."
Derartige Vorfälle ziehen sich bis weit ins Jahr 2009, bereits unter der Obama-Regierung. Die Berichte geben keinen Anlass zu der Annahme, dass sich die Praktiken mit dem Regierungswechsel geändert haben könnten. Sie werfen ein Licht darauf, was der Rückzug der US-Truppen und die Übergabe der Verantwortung an die irakischen Kräfte bedeutet.
Neben den vielen Berichten über getötete irakische Zivilisten, die Kidnapping, Morden oder Sprengstoffattentaten zum Opfer fielen, finden sich auch solche, bei denen die US-Armee eine direkte Rolle spielt. Am 22. Februar 2007 etwa verfolgte ein US-Kampfhubschrauber eine Gruppe von Aufständischen in einem Kleinlaster. Nach einem Feuergefecht fliehen zwei überlebende Iraker in einem Wagen. Verfolgt vom Hubschrauber steigen sie aus und wollen sich ergeben. Ein Militäranwalt in der Einsatzzentrale sagt der Besetzung des Hubschraubers, die Iraker könnten sich keinem Hubschrauber ergeben, sie seien nach wie vor legitime Ziele. Die Soldaten schießen, verfehlen die zwei zunächst, sie fliehen in einen nahe gelegenen Schuppen - dort werden sie getötet.
Private Sicherheitskräfte wie die notorisch bekannte Firma Blackwater, heute Xe Services, haben laut den Dokumenten wesentlich zur Eskalation des Krieges beigetragen. Immer wieder waren es ihre Leute, die in angespannten Situationen wild um sich schossen und auf das Leben von Zivilisten keine Rücksicht nahmen. Nach einem Sprengfallenanschlag am 22. August 2006 etwa schossen Mitarbeiter von Blackwater "rücksichtslos in die Menge", hält ein Militärbericht fest.
In einem anderen Fall töteten Angestellte der rumänischen Sicherheitsfirma Danubia Global 2006 drei Iraker in Falludscha und weigerten sich danach, zu dem Vorfall Stellung zu nehmen. Ihr Argument: Es sei eine Regel ihres Unternehmens, Ermittlern gegenüber keinerlei Aussagen zu machen.
Bei zahlreichen Zwischenfällen schossen Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen auch auf irakische Polizisten und Soldaten, auf Mitarbeiter anderer Sicherheitsfirmen, selbst auf US-Soldaten. Allerdings wurden sie auch oft selbst Opfer von Angriffen und Sprengfallen, denen die Söldner in ihren Pick-ups schutzlos ausgesetzt waren. Rund 175 private Sicherheitsleute sollen in diesem Zeitraum ums Leben gekommen sein.
Die von Wikileaks veröffentlichten Berichte dürften nicht alle stimmen. Wer etwa das Militärprotokoll jenes berühmt gewordenen Hubschrauberangriffs vom 12. Juli 2007 liest, in dessen Verlauf jubelnde US-amerikanische Bordschützen 13 Unbewaffnete töteten und vier weitere schwer verletzten, darunter zwei Kinder, wird von Skandal nichts wiederfinden: Darin ist die Rede von feindlichem Beschuss, auf den man geantwortet und 13 "AIF", antiirakische Kräfte, getötet habe. Nichts davon ist wahr.
Das bekannte Gesamtbild des Irakkriegs verändern die Berichte nur graduell. Aber die Verantwortung der US-Regierung, auch der jetzigen, wird noch einmal deutlicher. Und niemand kann sich mehr darauf berufen, es gebe keine entsprechenden Informationen, man habe von nichts gewusst.
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