Militärdiktatur in Argentinien: Daimler muss in den USA vor Gericht
Daimler-Benz kann wegen der Auslieferung von Betriebsräten in Zeiten der Militärdiktatur verklagt werden. Begründung: Kalifornien importierte viele Autos aus Argentinien.
BUENOS AIRES taz | Der Autokonzern Daimler-Benz darf in den USA wegen des Vorwurfs der Zusammenarbeit mit der Militärdiktatur in Argentinien in den 1970-er Jahren angeklagt werden. Das ist die Entscheidung des Berufungsgerichts in San Fransisco im US-Bundesstaat Kalifornien. Das Gericht befand am Mittwoch, dass eine zivilrechtliche Entschädigungsklage gegen Daimler wegen Tötung, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen an Mercedes-Benz-Arbeitern im argentinischen Werk von einem Gericht in den USA angenommen werden muss.
Damit ist jetzt der Weg frei für die Klage von 22 Argentiniern, die den Autokonzern für das Verschwindenlassen von mindestens 14 Betriebsräten in den Jahren 1976 und 1977 während der Militärdiktatur in der argentinischen Niederlassung von Daimler-Benz zu Verantwortung ziehen wollen. Mercedes-Benz Argentina habe damals mehrere unbequeme Arbeitnehmervertreter in seinem Werk bei dem Ort Gonzales Catán in der Provinz Buenos Aires an die Militärdiktatur ausgeliefert, um einen Streik zu beenden, so der Vorwurf.
Zeugenaussagen wie die des Überlebenden Héctor Ratto weisen auf eine Zusammenarbeit zwischen der Werksleitung und den Militärs hin. Der ehemalige Betriebsrat Ratto sagte bei einer Vernehmung aus, dass der damalige Daimler-Manager Juan Tasselkraut ihn persönlich den Sicherheitskräften übergeben hätte. Denen habe Tasselkraut außerdem die Adresse des Mercedesarbeiters Diego Nuñez mitgeteilt, der daraufhin ebenfalls verschwand. Bis heute ist Nuñez spurlos verschwunden.
In Argentinien kommen die Klagen nicht voran
Da eine Klage in Argentinien seit Jahren nicht vorankommt, versuchten die Überlebenden und Angehörigen der Verschwundenen den Rechtsweg im Ausland zu beschreiten. In Deutschland wurde ein entsprechendes Verfahren vom deutschen Anwalt der Betroffenen, Wolfgang Kaleck, auf den Weg gebracht. Das Verfahren wurde jedoch im Jahr 2000 von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth eingestellt.
Am 14. Januar 2004 reichten die beiden Anwälte Terry Collingsworth und Daniel Kovalik in den USA Klage ein. Im August 2009 wurde diese von einem US-Bezirksgericht zunächst abgewiesen. Begründung: Nicht zuständig. Doch das sahen die Richter am kalifornischen Berufungsgericht letzten Mittwoch anders. Die USA und besonders der Bundesstaat Kalifornien habe in den fraglichen Jahren so viele in Argentinien zusammenmontierte Daimler-Fahrzeuge importiert, dass der Autobauer in den USA vertreten ist und dementsprechend unter die US-Gerichtsbarkeit fällt, so das Berufungsgericht in seiner Begründung.
Altes Gesetz aus dem Jahr 1789
Das Urteil fußt auf einem alten Gesetz aus dem Jahr 1789. Danach sind in den USA vertretene Firmen auch für Vorkommnisse an ihren Standorten im Ausland verantwortlich. Daimler hatte durch seine Verkaufshäuser eine starke Verbindung nach Argentinien, so Berufungsrichter Stephen Reinhardt. Zudem hätten die Kläger schon viel zu lange auf eine Reaktion der argentinischen Justiz warten müssen. Nicht zuletzt herrsche wenig Klarheit darüber, ob ein deutsches Gericht sich damit befassen werde, fügte Reinhardt hinzu.
Daimler glaubte dagegen, sich bereits auf der sicheren Seite zu befinden. Noch vor wenigen Monaten hatte ein Gericht in New York in einem ähnlichen Fall die Anwendung dieses Gesetzes in einem Grundsatzurteil abgelehnt. Dabei ging es um Vorfälle eines Daimler-Werkes in Südafrika während des Apartheidsregimes. Die jetzige Entscheidung in Kalifornien könnte die Entscheidung von New York jedoch wieder in Frage stellen.
Direkter Weg zur Klage
Zufriedenheit deshalb bei den Anwälten in den USA. "Unsere Klienten waren Leiter und Mitglieder der Gewerkschaft in Argentinien. Die Polizei hat sie 'verschwinden lassen', nachdem die Firma sie als problematisch identifiziert hatte," so Terry Collingsworth. "Jetzt haben wir einen Gerichtsstand und einen direkten Weg zum Inhalt der Klage". Auch der deutsche Anwalt Wolfgang Kaleck begrüßt den Spruch des Berufungsgerichts: “Diese Entscheidung eröffnet den argentinischen Gewerkschaftern und ihren Angehörigen eine späte Chance auf Gerechtigkeit.“ Jetzt, so hofft Kaleck, werde auch die juristische Aufarbeitung in Argentinien vorankommen.
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