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Migrantische Wirtschaft in BerlinHochachtung vor Gemüsehändlern

Türkeistämmige Unternehmer repräsentieren ein anderes Einwandererbild als das, was Thilo Sarrazin verkündet. Sie arbeiten in zahlreichen Branchen - und engagieren sich vielfältig.

Viele dieser Früchte würde es ohne die von Sarrazin diffamierten Obst- und Gemüsehändler hierzulande vielleicht gar nicht geben. Bild: ap

Werbeagenturen, Banken und Versicherungen, Sport- und Kosmetikhändler, Hotels, Hochzeitsausstatter und Dönerproduzenten: Kein Gemüsehändler befindet sich unter den mehr als 50 türkeistämmigen FirmeninhaberInnen, die am Sonntag auf der Messe der Türkisch-Deutschen Unternehmervereinigung (TDU) ihre Angebote präsentierten. Gerade die hatte Thilo Sarrazin in einem seiner Ausfälle gegen Migranten erwähnt: Türken und Araber hätten in Deutschland keine produktive Funktion "außer als Obst- und Gemüsehändler", so Sarrazins Sicht.

Hätte der frühere Berliner Finanzsenator die Messe in der Industrie- und Handelskammer (IHK) besucht, wäre er eines Besseren belehrt worden. Die UnternehmerInnen, die sich da präsentierten, sind nicht nur produktiv. Sie sind auch engagiert in Sachen Ausbildung, fördern Integrationsprojekte oder repräsentieren schlicht ein anderes Einwandererbild als Sarrazins.

Etwa Mehmet Matur: Der 51-jährige Inhaber eines Sportgeschäfts engagiert sich seit Jahren ehrenamtlich im Berliner Fußballverband (BFV). Sein Geschäft ist eigentlich ein Familienbetrieb: Maturs Bruder, Sohn und Neffe arbeiten mit. Doch der Sporthändler bildet auch aus: Die zwei jungen Frauen, die seinen Stand betreiben, lernen bei ihm. "Es hat sich viel verändert in den letzten zehn Jahren", sagt Matur. "Die türkischen Unternehmer stellen sich besser dar und sind besser aufgestellt."

Berlins größter Dönerproduzent Remzi Kaplan bestätigt: Gerade im Bereich Ausbildung habe sich viel getan. Das sei auch der Zusammenarbeit zwischen TDU und IHK zu verdanken, die Beratung und Unterstützung für Betriebe ermögliche. Kaplan ist selbst Sohn eines Gemüsehändler: "Harte Zeiten" waren das, erinnert sich der 51-Jährige: "Mein Vater durfte ja als Gastarbeiter kein Unternehmen eröffnen. Wir brauchten damals einen Deutschen als Gewerbeinhaber."

Erkan Öztas ist einer der wenigen Unternehmer auf der Messe mit einem Angebot speziell für türkisches Publikum. Traditionelles Hochzeitszubehör kann man bei ihm kaufen: Kleine Geschenke für die Gäste, samtbezogene Kästen für die Brautgaben. Traditionspflege, sagt Öztas, sei doch nichts, was der Integration im Weg stehe: "Integration bedeutet für mich, dass man sich gut versteht."

Bei den UnternehmerInnen wenigstens scheint das zu klappen: IHK-Präsident Eric Schweitzer persönlich eröffnete die Messe, die in diesem Jahr zum zweiten Mal und erstmalig bei der IHK stattfand. Über 10.000 türkeistämmige Unternehmer gebe es heute in Berlin, die 5 Milliarden Euro Umsatz machten und etwa 40.000 Arbeitsplätze schafften, erklärt er. Trotzdem: Mitglieder des Berliner Senats fehlten auf der Messe, Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) immerhin entschuldigt, Arbeits- und Integrationssenatorin Carola Bluhm (Linke) habe auf eine Einladung nicht geantwortet, hieß es. Dafür waren Berlins CDU-Vorsitzender Frank Henkel und die CDU-Abgeordnete Emine Demirbüken da. Die Politik schlafe beim Thema Integration ja seit 50 Jahren, meinte die: "Gut, dass die Unternehmer so aktiv sind!"

Dass keine Gemüsehändler unter den Ausstellern ist, bedauert der TDU-Vorsitzende Hüsnü Özkanli, selbst Produzent von Nahrungsergänzung und Naturkosmetik: "Die wären uns auch sehr willkommen." Denn sie seien die Wegbereiter der heutigen UnternehmerInnen gewesen: "Deshalb haben wir Hochachtung vor ihnen."

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