Migranten in der Politik: "Kann ein Muslim CDU-Politik?"
Zu lange hat die CDU den Deutschtürken das Gefühl gegeben, nicht dazuzugehören. Als Kandidaten haben sie in der Union kaum Chancen - als Wähler halten viele der SPD die Treue.
Zweimal hat Bülent Arslan es versucht. Der Christdemokrat wollte als Kandidat für den Bundestag antreten. Mithilfe des heutigen NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers versuchte er, für die Bundestagswahl 2002 einen Wahlkreis in Hagen für sich zu gewinnen. Als er sich dem Kreisverband vorstellte, war man skeptisch: Ein türkischstämmiger Muslim soll geeignet sein, die CDU zu vertreten?
Die Hagener Christdemokraten legten dem Kreisvorsitzenden nahe, einen anderen Kandidaten zu präsentieren. Arslan zog seine Kandidatur zurück. 2005 versuchte er es ein zweites Mal - und unterlag in Leverkusen bei einer Abstimmung. "Zweimal reicht", sagt der 34-jährige Unternehmensberater, der das Deutsch-Türkische Forum in der CDU gegründet hat.
Dieses Mal versucht es der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete David Erkalp. Auch er ist in der Türkei geboren, seine Familie aber gehört einer christlichen Minderheit an. Erkalp kämpft um ein Direktmandat in Hamburg-Mitte, das traditionell an die SPD fällt. Über die Landesliste ist er nicht abgesichert. Auch dem neuen Bundestag wird wohl kein türkischstämmiger Christdemokrat angehören.
Arslan hält das für einen Fehler. Die Deutschtürken, so meint er, bilden ein großes Wählerpotenzial für die CDU. "Viele von ihnen sind konservativ und stimmen mit dem Weltbild der Christdemokraten in vielem überein." Doch die Union wählen sie nur selten.
Nach Schätzungen gibt es 450.000 bis 600.000 wahlberechtigte türkischstämmige Deutsche. Das ist fast 1 Prozent der Wahlberechtigten. Bereits nach dem knappen Sieg der Schröder-SPD 2002 mahnte ein Papier der Konrad-Adenauer-Stiftung: "Bei einem besseren Abschneiden der Union in dieser Gruppe hätte sie stärkste Partei werden können."
Bislang aber stimmen die Deutschtürken mehrheitlich für das linke Lager. Während die meisten Spätaussiedler der Union die Treue halten, haben die Deutschtürken "eine ganz starke Bindung an die Gewerkschaften und die SPD", sagt Andreas Wüst von der Universität Mannheim, der seit Langem das Wahlverhalten von Migranten erforscht.
Glaubt man einer Umfrage des Berliner Instituts Data4U vom März, werden die Deutschtürken bei der Bundestagswahl zu 56 Prozent die SPD wählen, weniger als noch 2002. Aus diesem Jahr liegen die letzten soliden Zahlen vor. Die Grünen bekämen 23 Prozent, die Union läge mit 10 Prozent nur knapp vor der Linken. Wüst hält das für einen realistischen Trend: "Noch eher würde ein Spätaussiedler die SPD wählen als ein Deutschtürke die Union." Der Grund? "Die Union hat die Deutschtürken jahrzehntelang als nicht dazugehörig definiert - das wird so schnell nicht vergessen."
Die Türkische Gemeinde Deutschland hat in diesem Jahr keine Wahlempfehlung abgegeben. Bei der letzten Bundestagswahl hat sie noch SPD, Grüne und Linke unterstützt. TGD-Chef Kenan Kolat, selbst Sozialdemokrat, glaubt, dass viele Deutschtürken von der SPD enttäuscht sind, weil sie die strengeren Gesetzesregelungen der Union etwa zum Familiennachzug mitgetragen hat. Die TGD ruft dazu auf, mit der Erststimme türkischstämmige Kandidaten zu unterstützen. Einige erwähnt Kolat dabei persönlich. Der Christdemokrat Erkalp ist nicht dabei.
Mit Islamkonferenz und Integrationsgipfel sei die CDU politisch auf dem richtigen Weg, glaubt Bülent Arslan. Jüngst hat die Parteispitze sogar 150 Parteimitglieder aus Einwandererfamilien eingeladen und um Unterstützung bei der Wahl gebeten. Das Problem, so Arslan, liege anderswo: "Wir können die Sympathien der Menschen nicht gewinnen." Türkischstämmige Bundestagsabgeordnete könnten daran etwas ändern.
Ein Ergebnis der Data4U-Umfrage scheint ihm recht zu geben. Würde der Bundeskanzler direkt gewählt, die meisten Deutschtürken würden für Cem Özdemir stimmen. Der Grünen-Chef, der 1994 der erste Deutschtürke im Bundestag war, kämpft in Stuttgart um ein Direktmandat. Über die Landesliste ist auch er nicht abgesichert.
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