Migranten in der CSU: Bayerisch, türkisch, sozial
Auch in der CSU gibt es sie, wenn auch nicht sehr zahlreich: türkische Migranten. Vor allem das Traditionsbewusstsein der Christsozialen gefällt ihnen.
REGENSBURG/ INGOLSTADT/NÜRNBERG taz | Dass es den Deutschen an Esskultur fehlt, ahnte Haritun Sarik schon als kleiner Junge. Sein Vater, ein gerade aus der Türkei nach Regensburg eingewanderter Obst- und Gemüsehändler, verkaufte einem Kunden damals, vor mehr als vierzig Jahren, eine Wassermelone.
Am nächsten Tag kam der Kunde zurück und lobte die ihm bislang unbekannte Frucht: Innen habe das ja gut geschmeckt, erklärte der Mann - nur das Äußere sei ein bisschen hart gewesen.
Haritun Sarik muss lachen. Der heute 51 Jahre alte Feinkost- und Lebensmittelgroßhändler sitzt vor seinem hellen Weizenbier im Regensburger Weissbräuhaus, einer Brauereikneipe in der Altstadt. Das Essen ist deftig, das Interieur ländlich, die Gespräche laut - so richtig rein passt der feine, sanfte Herr Sarik in seinem Businessanzug hier nicht. Dabei ist er im Stadtrat von Regensburg, ein Volksvertreter auf lokaler Ebene. Und er ist ein Politiker der Christlich-Sozialen Union (CSU).
Es ist die Partei, deren Vorsitzender, Ministerpräsident Horst Seehofer, neulich mit Blick auf die Türkei verkündet hat, "dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen". "Es gibt keine schlechte Kultur", sagt dazu sein Parteifreund Sarik, "Kultur ist für uns wirklich eine Bereicherung." Wen Sarik mit "uns" meint, wird bezeichnenderweise nicht sofort klar. "Die ganze Kultur kommt ja am Ende aus Kleinasien", fügt er fast trotzig hinzu.
Deutschland diskutiert seit Wochen über die Integration von Ausländern, genauer: darüber, wie man Menschen mit Migrationshintergrund besser in die Gesellschaft einbinden kann - und schon das Wort "Migrationshintergrund" zeigt, wie schwierig die Debatte ist.
Nach den umstrittenen Thesen Thilo Sarrazins spitzte Horst Seehofer die Diskussion noch weiter zu mit der Aussage, Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie etwa aus der Türkei täten sich schwerer bei der Integration. Diese Worte sind besonders schmerzhaft für alle türkischstämmigen Menschen, die sich in der CSU politisch engagieren.
Viele sind es nicht. Weder in der CSU-Landesgruppe im Bundestag noch in der Münchner Landtagsfraktion findet sich ein Name, der wenigstens ein klein bisschen nach Zuwanderung klingt - unter den Hubers und Maxens ist kein Platz für die Öztürks und Alis. Türkischstämmige Mandatsträgerinnen und -träger mit einem CSU-Parteibuch sind in Bayern ungefähr so häufig anzutreffen wie Fans des preußischen Königshauses.
Da ist zum Beispiel Nesrin Yilmaz. Die 40-jährige Mutter eines behinderten Sohns ist Wirtin in Ingolstadt -, und wenn man sie hier im "Bermuda-Dreieck" der Autostadt in der Kneipe einer Freundin zwischen Schafskopf schmetternden Urbayern mit roten Quadratschädeln beobachtet, wirkt die Integrationsdebatte seltsam aufgesetzt.
Yilmaz ist blond, strahlt mit dem weiß-blauen Himmel um die Wette und rollt das "R" auf eine so unnachahmlich bayerische Art, dass wohl kaum jemand darauf käme, sie könnte an der türkischen Nordküste in der Kleinstadt Sürmene bei Trabzon geboren worden sein. Ihre Familie war die erste türkische Familie, die in Ingolstadt ein Haus kaufte - 1977 war das, und es lag daran, dass kein Deutscher der vielköpfigen Familie eine Wohnung anbieten wollte. In der Grundschule hat sie Watschn von einer Nonne erhalten, wenn sie sich die Augen verdeckte, um nicht diesen halbnackten, blutigen Mann am Kreuz an der Wand anschauen zu müssen.
Von den Grünen zur CSU
Vor zehn Jahren war Yilmaz die erste Mandatsträgerin, die auf der Liste der Grünen in den Ingolstädter Stadtrat nachrückte. Schon nach wenigen Wochen aber hatte sie "die Nase voll von der grünen Ecke" - und wechselte nach einem Tag intensiver Gewissensprüfung zur CSU. Denn wenn sie schon ihre geringe Freizeit opfere, sagt Yilmaz, "dann muss es auch effektiv sein".
Bis 2008 war sie dann im Stadtrat für die Christsozialen. Bereits vor Jahren hat sie gefordert, dass nachziehende Ehegatten von Migranten schon vorher ein wenig Deutsch lernen sollen. Der größte Fehler der Stadtoberen sei es gewesen, eine Ghettobildung von Zugewanderten in deutschen Städten zu akzeptieren - auch weil die lieben deutschen Nachbarn keine "Ausländer" nebenan haben wollten.
Die Äußerungen Seehofers gefallen Yilmaz wenig - aber direkte Kritik äußert sie nicht, wohl auch weil sie gut bekannt ist mit dem Ministerpräsidenten, der eine Weile in ihrem Kreisvorstand war. Seehofer wohnt in der Nähe von Ingolstadt. Seine Limousine rauscht häufig an ihrem Auto vorbei, wenn sie morgens zur Arbeit fährt. Seehofer, sagt sie, habe mit seinen Äußerungen "halt Gas gegeben" - ein "typischer CSU-Trip".
"Ich kann noch viel von ihm lernen", sagt sie lachend. Der Mann sei eben "ein Schlitzohr" - und das ist in Bayern durchaus als Kompliment zu sehen. Den am Wochenende von ihrer CSU auf ihrem Parteitag verabschiedeten "7-Punkte-Integrationsplan" hat sie allerdings noch nicht gelesen. "Keine Ahnung, was die da wieder gemurkst haben", sagt sie mit einem ironischen Lachen.
In der Färberstraße nicht weit von der Nürnberger Stadtmauer hat Ümit Sormaz sein Unternehmen. Der 31-jährige Krawattenträger ist sehr smart und trägt seinen dunklen Anzug mit lässiger Eleganz. Sormaz hat vor ein paar Jahren eine Fortbildungsinstitution gegründet, die er "Intelligenzknoten" nennt. In erster Linie bietet er in den schlichten Räumen seines Unternehmens Nachhilfe an, aber auch Umschulungen zum Altenpfleger oder Integrationskurse mit dem Titel "Deutsch für alle!".
Obwohl äußerlich stets ruhig, merkt man bei ihm schnell: Sormaz brennt geradezu für seine These, dass "Integration nur durch Bildung" möglich ist. Mit drei Jahren kam er aus der mittelanatolischen Stadt Yozgat nach Oberbayern, in das Städtchen Waldkraiburg. Vor etwa fünf Jahren, genau weiß er es nicht mehr, ließ er sich einbürgern. "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein", sagt er.
Etwa in dieser Zeit trat er auch der CSU bei, weil diese Partei eigentlich, wie er sagt, "den Türken viel näher ist" als etwa die Sozialdemokraten oder Grünen. Schließlich seien viele türkische Migranten eher konservativ, religiös und traditionsbewusst. Bei der Stadtratswahl 2008 wurde er zwar für die CSU aufgestellt - aber, sagt er lachend, auf Platz 65 der Liste, und das für ein Stadtparlament, das sowieso nur 70 Plätze zu vergeben hat.
Sein Engagement in der Partei sieht Sormaz auch als Chance, in Sachen Integration "vielleicht die Leute wachzurütteln". Die Aussagen Seehofers kritisiert Sormaz recht scharf: "Er erschwert uns dadurch die Arbeit vor Ort sehr." Ansonsten zeigt sich Sormaz unbeirrt: "Ich bin nicht in die CSU eingetreten, um aufzugeben." Ihm gehe es um die Integration der Kinder von heute. "Ich denke für diese Generation", sagt er, "für die arbeite ich." Das klingt sehr pathetisch - aber auch sehr authentisch.
In Regensburg hat Haritun Sarik gerade mal die Hälfte seines Biers geschafft. Aber schon jetzt hat man verstanden, warum der schüchterne Mann in dieser erzkatholischen Stadt mit dem reaktionärsten Bischof Deutschlands so gut ankommt: Er ist einfach ein sehr freundlicher, ja ein guter Mensch.
Schon bei seiner ersten Nominierung zur CSU-Liste für die Wahl zum Stadtrat vor acht Jahren erhielt er, obwohl ein Parteineuling, aus dem Stand 90 Prozent der Delegiertenstimmen. Als er sich nach sechs Jahren Engagement im Stadtparlament zugunsten seines Unternehmens aus der Politik verabschieden wollte und mit Platz 32 ganz zufrieden war, gelangte er aufgrund vieler Wählerstimmen und dank des bayerischen Wahlrechts auf Platz 14 - und damit wieder in den Stadtrat.
Die Aussagen Seehofers beurteilt er milde: "Ich glaube, das war son Schnellschuss von ihm." Vielleicht habe der Ministerpräsident ja auch einen schlechten Tag gehabt. Die CSU habe bei den Migranten sowieso den Ruf, "ausländerfeindlich" zu sein - deshalb würden solche Sprüche erst gar "nicht so wahrgenommen". "Die CSU hat solche Kassetten immer parat. Warum soll ich mich ärgern?", sagt Sarik, "die Realität ist vor der Haustür" - etwa bei den Obdachlosen in der Stadt oder den Kranken in den Altersheimen. "Es gibt viel ernstere Dinge."
Dann drängt Sarik darauf, mit in seinen Feinkostladen am St.-Kassians-Platz mitten in der Altstadt zu kommen. Die Sariks sind Armenier. Schon in der Türkei waren sie wegen ihrer Herkunft und ihres christlichen Glaubens "Bürger vierter, fünfter Klasse". "Wir wissen, wie schwierig es ist, mit Muslimen zu leben", sagt er trocken.
In der Küche seines Feinkostladens hat er sich ein winziges Büro mit einem Laptop eingerichtet. Hier bereitet er mit frischem Ingwer, Pfefferminze und Salbei aus seinem Laden einen Erkältungstee für den Reporter zu - Widerrede zwecklos.
Der Blick fällt auf eine Todesanzeige an der Wand. Es ist die des Regensburger Studenten Tennessee Eisenberg, der am 30. April 2009 wenige Straßen von hier entfernt von einem Polizisten erschossen wurde, durchsiebt von 12 Kugeln. Der christsoziale Politiker Sarik wirkt immer noch schockiert, wenn man ihn darauf anspricht. Weiß die CSU eigentlich, was für einen Schatz sie mit ihren Mitgliedern Sormaz, Yilmaz und Sarik besitzt?
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