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Michael Brake GeschmackssacheWas im Wurst Case zu tun ist

Foto: Erik Irmer

Überraschungseier sind keine Eier, Scheuermilch ist keine Milch und in Leberkäse ist weder Käse noch Leber. Alle wissen das, keinen stört’s, und trotzdem war sich im EU-Parlament vor einigen Wochen eine Mehrheit nicht zu blöde, für ein Verbot von Begriffen wie „Wurst“ oder „Burger“ für vegetarische Fleischersatzprodukte zu stimmen. Weil diese die Kon­su­men­t:in­nen angeblich verwirren könnten.

Das Ganze ist ein verzweifeltes Abwehrmanöver der Fleischlobby. Sollte der Wurst Case eines Verbots wirklich eintreffen, würde das in Deutschland den Veggie-Herstellern allenfalls ein wenig Sand ins Getriebe streuen – mehr nicht. Denn die Zahl der Ve­ge­ta­rie­r:in­nen steigt hierzulande stetig, allem Pro-Wurst-Kulturmampf von konservativer Seite zum Trotz. Auch der Umsatz mit vegetarischen und veganen Fleischersatzprodukten hat sich seit 2019 mehr als verdoppelt. Und dem Aufstieg der Hafermilch hat es schließlich auch nicht geschadet, dass sie nur Haferdrink heißen darf.

Die Profiteure wären die Marketingagenturen der veganen Metzger. Sie stünden vor einer großen Aufgabe, für die es mehrere Lösungen gibt, in verschiedenen Eskalationsstufen.

Möglichkeit 1: kreatives Wording. Leicht verfremdete Varianten der bekannten Begriffe, die (noch) nicht verboten sind. Vokale weglassen (BRGR, SCHNTZL, CHCKN) oder sie durch andere ersetzen, besonders gut kommen dabei diakritische Zeichen (Wűrst, Børger, Ștæk). Aufs Produktfoto setzen und mit Auslassungen oder Zensurbalken arbeiten („W████– schmeckt verboten gut!“). Hier dürfte auch das V eine Renaissance erleben, das lange der Marker schlechthin für vegane Produkte war, sei es als Visch, Vleisch, Vöner oder Volognese, und im Ausland auch als Vurger oder Vozzarella. Also, Mut zum Vortspiel!

Möglichkeit 2: ganz neue Begriffe, wie Röllchen oder Gekrümeltes. Die funktionieren natürlich auch erst mal nur in Verbindung mit Fotos, bis sie sich etabliert haben. Das geht auch in „originell“ (Langer Lulatsch, Fescher Fladen, Mündiger Bürger), in provokant (Fleischalternative für Deutschland) oder ganz neu gedacht (Schlugel, Brozz, Grisselbriss).

Michael Brake blickt jeden Monat auf neue und alte Trends in Restaurants, Küchen und Supermarkt­regalen.

Möglichkeit 3: andere Formen. Skeuomorphismus heißt es, wenn neue Dinge im Design Vertrautes imitieren, obwohl es funktional dafür keine Notwendigkeit gibt, also etwa ein Rrrrring-Klingelton am Handy. Das ist erst mal verständlich, um Kon­su­men­t:in­nen ans Neue heranzuführen. Aber vielleicht gibt es ja für nach Fleisch schmeckendes Essen noch viel tollere Form/Textur-Kombinationen als die uns bekannten? Jetzt ist die Zeit, es zu erproben. Ob Spiralen, Netze, Dodekaeder oder Wölkchen – der Vantasie sind keine Grenzen gesetzt.

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