Merkels Prinzipien : KOMMENTAR VON BETTINA GAUS
Spitzenpolitikern wird oft ein taktisches Verhältnis zu moralischen Prinzipien unterstellt. Zu Recht. Umso beglückender ist es, wenn sich der Eindruck verfestigt, dass es jemandem wirklich ernst ist mit der Achtung der Menschenwürde. Für Angela Merkel gilt das.
Nicht, dass sie keinen Anlass zu Kritik böte. Die christlichen Werte preist sie meist auf eine Weise, die alle Nichtchristen ausschließt, sogar beleidigt. Um die Seele ihrer Partei zu streicheln, schürt sie gerne auch mal Ängste vor Asylmissbrauch. Die Position von Angela Merkel zum Irakkrieg war – wohlwollend formuliert – unklar. Sie hätte aber klar sein müssen. Ein völkerrechtswidriger Krieg ist eine furchtbare Verletzung der Menschenrechte.
Trotzdem: Angela Merkel verdient Respekt. Es wird nämlich immer deutlicher, dass es für sie Grenzen gibt, die sie nicht zu überschreiten bereit ist. Dass sie tatsächlich Grundsätze hat.
Von antisemitischen Äußerungen des damaligen CDU-Politikers Martin Hohmann hat sie sich früh eindeutig distanziert. Sie hat russische Bürgerrechtler getroffen und die Verhältnisse im US-Gefangenenlager Guantánamo kritisiert. Sie hat sich, anders als die rot-grünen Entscheidungsträger, für den dort inhaftierten Murat Kurnaz eingesetzt. Weswegen der jetzt wieder in Bremen lebt. Und sie hat klargestellt, dass selbst am offenen Grab nicht bedenkenlos gelogen werden darf.
Günther Oettinger sieht das offenbar anders. Der baden-württembergische Ministerpräsident betont nun, er habe die Verbrechen des Nationalsozialismus in der Trauerrede für seinen Vorgänger Hans Filbinger nicht relativieren wollen. Das hat auch niemand unterstellt. Als beschämend und anstößig wurde der Versuch empfunden, einen NS-Marinerichter, der noch in den letzten Kriegstagen an Todesurteilen gegen Deserteure mitgewirkt hatte, zum Regimegegner zu stilisieren.
Davon will Oettinger weiterhin nicht abrücken. Weswegen der Zentralrat der Juden mit seiner – sehr selten geäußerten – Forderung nach einem Rücktritt recht hat. Auch deshalb, weil es niemandem mehr zugemutet werden kann, Herrn Oettinger aus protokollarischen Gründen die Hand drücken zu müssen.