: Merkels Herzprobleme
Die CDU-Vorsitzende zeigt sich als kalte Strategin ohne Inhalt. Im Machtkampf in ihrer Partei setzt sie sich damit durch, beim Wähler wird ihr dieses Image Probleme bereiten
Nein, die schwierige Frage ist nicht: Wer ist Horst Köhler? Nach der Präsidentenkür von Union und FDP lautet das eigentliche Rätsel: Wer ist Angela Merkel? Zwei scheinbar konträre Antworten kommen aus entgegengesetzten Lagern, verkörpert von den publizistischen Säbelfechtern Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, und Georg Paul Hefty, FAZ. Im Poker um den Präsidenten, argumentiert der konservative Frankfurter, hat Merkel sich als der durchsetzungsfähigste, letztlich mächtigste Politiker in Deutschland erwiesen – und das grammatikalische Maskulinum ist von Hefty beabsichtigt. Angela Macchiavelli!, schimpft dagegen der linke Münchner, in der Präsidentenkür sind ihre Defizite offensichtlich geworden: Intrige statt Inhalt bestimmt ihr Handeln, das zeigt ihr Spiel mit Wolfgang Schäuble; nun ist die Hochphase ihrer Macht vorbei, das Fundament für eine Kanzlerkandidatur bröckelt.
Tatsächlich liegen beide Sichtweisen näher beieinander, als es der rhetorische Furor vermuten ließe. Denn auch wer Merkel Machtgier vorwirft, trägt damit zu ihrem Ruhm bei. Als Frau in der CDU muss sie Auszeichnungen ihres Machtstrebens sammeln wie Frontkämpfer Orden. Will sie sich 2006 gegen ihre innerparteilichen Rivalen Roland Koch und Edmund Stoiber durchsetzen, darf sie den Männern in nichts nachstehen. Unfreiwillig bescheinigen ihr nun ihre Kritiker eine Eigenschaft, ohne die in der Union keiner Kanzlerkandidat wird: Härte.
Um aber Kanzlerin zu werden, muss sie nicht nur ihre Partei überzeugen, sondern auch die Deutschen. Damit dürfte sich die CDU-Chefin künftig schwerer tun. Mit ihrem Zocken beim Präsidentenpoker hat sie sich einem Verdacht ausgesetzt, der sie im Kern trifft: Hat Angela Merkel ein kaltes Herz?
Politisch formuliert: Die Christdemokratin aus dem Osten ist dabei, den einzigen Vorteil beim Wähler zu verspielen, den sie ihren Konkurrenten in CDU und CSU voraushat – den Bonus, in den Augen vieler Bürger eine Gute zu sein in der bösen Politik. Ihr Appeal, zumal bei Wählern jenseits der Union, beruhte lange Zeit auf dem Ruf, als Frau aus dem Osten authentischer zu sein als viele der Karrieremänner mit JU-Vergangenheit. Mag dieser Nimbus zu einem wesentlichen Teil auf einem verklärten Bild beruhen, das die Öffentlichkeit sich lange von ihr machte, so hat er doch ihren politischen Aufstieg entscheidend begünstigt. Vor allem aber unterschied dieses Image sie von den zwei Politikern, die sie in ihrer Partei ausstechen muss. In der öffentlichen Wahrnehmung stoßen Koch wie Stoiber auf einen Vorbehalt: Hirn haben sie beide – aber haben sie Herz? Hegen die Menschen erst mal denselben Verdacht gegen Angela Merkel, ist sie in Nöten.
Nicht umsonst gilt in den USA diese Art von Frage, die character question, als wahlentscheidend. In der Tat spricht viel dafür, dass etwa CSU-Chef Stoiber für den weit verbreiteten Zweifel an seinem Charakter bereits bei der letzten Bundestagswahl mit einer Niederlage bezahlen musste. Im Personenvergleich, wie der Wahlkämpfer Schröder das nannte, entschieden sich gerade potenzielle Wechselwähler gegen den als steif und kalt empfundenen Ministerpräsidenten und für die „wärmeren“ Spitzenkandidaten von Rot und Grün.
Auf die Wechselwähler aber ist auch eine Kanzlerkandidatin Merkel angewiesen, wenn sie 2006 erfolgreicher sein will als Stoiber 2002. Wechselwähler sind Lifestyle-Wähler, sie entscheiden sich für die Partei und den Kandidaten, der ihrem Lebensgefühl am ehesten entspricht.
Stoiber glaubte, den Zeitgeist zu treffen, indem er sich als ernster Mann für ernste Zeiten präsentierte. Doch siehe da, die Bundesbürger entschieden sich gegen ihn. Was auch immer dafür sonst den Ausschlag gab – eine Gleichung ging jedenfalls nicht auf: Je größer die Krise, desto mehr dürsten die Deutschen nach Einschnitten.
Gerade weil draußen die bitteren Winde der Globalisierung pfeifen, wünschen sich viele Wähler ihre Heimat als ein mildes Land, ausgestattet mit Kiefernholzregalen, die Wände in warme Farben getaucht. Die Bürger in der Ikea-Republik schätzen Selbstbeschränkung nur, solange der Komfort nicht zu sehr darunter leidet. In dieses politische Interieur passt der Gedanke, CDU zu wählen, wenn auf solche Weise erstmals eine Frau Kanzler wird. Wenn Schröder und Fischer beim besten Willen nicht mehr zu ertragen sind, wenn Merkel die sympathische Frische des Neuanfangs verströmt. Wechselwähler sind Wenn-Wähler, und 2002 hat gezeigt, dass viel zusammenkommen muss, damit sie anders abstimmen als beim letzten Mal. Die nächste Wahl wird entschieden von den Menschen, die Merkel trotz der CDU wählen, nicht CDU trotz Merkel.
Aber könnte nicht gerade eine Kanzlerin, die Zuspruch über ihre eigene Partei hinaus findet, die Bürger für Reformen, sogar Opfer gewinnen? Theoretisch vielleicht, doch dafür müsste die Partei- und Fraktionschefin Vertrauen erwerben. Stattdessen gibt sie dem Wort Machtvakuum eine neue Bedeutung: Angela Merkel strebt nach Macht ohne Sinn. Was immer sie auch an Macht erringt, sie vermag sie nicht mit Inhalten zu füllen. Klingt darum ihre Rede oft so hohl? Zuletzt stellte sie diesen – vielleicht fatalsten Charakterzug – mit der Entscheidung für Horst Köhler unter Beweis. Sie hat ihre Macht gebraucht, aber nicht genutzt. Hätte sie den IWF-Chef aus Überzeugung nominiert, erschiene selbst das kalkulierte Opfern ihres Mentors Wolfgang Schäuble in einem anderen Licht. Doch die Gründe, die angeblich für Köhler sprechen, fielen der Vorsitzenden erst im Nachhinein ein.
Ihre Verteidiger verweisen gern auf die britische Premierministerin, die stets als Abziehbild herhalten muss, sobald Frauen in die Politik gehen. Doch Angela Merkel ist noch lange keine Angela Thatcher. Ein kaltes Herz und eine eiserne Hand sind nicht dasselbe. Der Deutschen fehlt bisher das Leitbild, das die Engländerin vor Augen hatte – und das manche Grausamkeit gerechtfertigt erscheinen lässt.
Ob der CDU-Chefin die Zeit bleibt, ihre Mission zu finden, ist ungewiss. In jedem Fall muss Angela Merkel einen Widerspruch meistern, an dem sie sonst scheitern wird: Um Kandidatin zu werden, braucht sie Härte, um Kanzlerin zu werden Herz.
Gilt die paradoxe Anforderung nur, weil sie Frau ist? Ihren Konkurrenten Koch und Stoiber, das zeigen die absoluten Unions-Mehrheiten in Hessen und Bayern, schadet jedenfalls der eigene Sympathie-Malus nicht zwangsläufig. Doch das liegt weniger daran, dass sie Männer sind, vielmehr dass sie der Erwartung ihrer Wähler treu bleiben: Sie haben ihren Aufstieg auf Härte gegründet und haben nichts zurückzunehmen.
Richtig ist, für eine Frau sind die Extreme noch extremer, die Ansprüche an sie sind so maßlos, wie sie an einen Mann nie gestellt würden: Ihre Härte wird schneller in Zweifel gezogen, ihr Herz heftiger eingefordert.
PATRIK SCHWARZ