: Merkel unerwünscht
Türkische Vereine im Ruhrgebiet fordern die CDU auf, sich für einen EU-Beitritt der Türkei einzusetzen. „Wir sind keine Europäer zweiter Klasse“
VON MERJAM WAKILI
Von bundesweit 2,6 Millionen Türkischstämmigen leben rund 330.000 im Ruhrgebiet. Die Diskussion um einen Beitritt der Türkei in die Europäische Union (EU) wird deshalb hier in diesen Tagen besonders kontrovers diskutiert. Auf die ablehnende Haltung der CDU-Chefin Angela Merkel bei ihrem Besuch vergangene Woche in Ankara haben viele Türken verärgert reagiert. „Wir verstehen das nicht. Die CDU will uns nicht in der EU haben. Warum denn? Sie hat doch keine Argumente“, sagt der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Rhein-Ruhr, Mustafa Okur. Der Besuch des Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) habe hingegen Hoffnung gemacht. „Wir sind keine Europäer zweiter Klasse“, sagt Okur. Der Schröder-Besuch habe gezeigt, dass die Türkei dazu gehöre.
Das Engagement einiger CDU-Politiker gegen einen Beitritt der Türkei in die EU versteht Okur nicht. Vor allem türkisch-stämmige CDUler sollten sich nicht auf Merkels Linie bringen lassen. „Wir Türken müssen doch zusammenarbeiten, egal, zu welcher Partei wir gehören“, sagt Okur. Seinen Appell richtet er vor allem an Politiker wie Bülent Arslan. Dieser ist Vorsitzender des Deutsch-Türkischen Forums der CDU, türkisch-stämmig mit deutscher Staatsangehörigkeit. Arslan hält Merkels Vorschlag an die Türkei, eine „privilegierte Partnerschaft“ mit der EU einzugehen, für ein „sympathisches Modell“. Eine Vollmitgliedschaft der Türkei in den kommenden zehn Jahren sei sowieso nicht realistisch. Wichtig sei ein Annäherungsprozess, der aber auch das Ziel haben müsse, der Türkei die EU-Mitgliedschaft auf lange Sicht zu ermöglichen.
Obwohl die Türkei seit Dezember 1999 Beitrittskandidat der EU ist, gab es bisher noch keine Beitrittsverhandlungen. Züleyha Demir von den Grünen in Bochum ist überzeugt: „Wenn der EU-Beitritt der Türkei in weite Ferne rückt, hat das üble Konsequenzen für die Türken im Ruhrgebiet.“ Das Zeichen an die hier lebenden Türken sei: „Ihr gehört nicht dazu“, mit der Folge, dass die Integration der Türken schwieriger würde.
Das Hauptargument der Union sei die Religion: Man wolle keinen Staat mit islamischen Wurzeln in der EU haben. Demir hält das für eine „Abschottung des Abendländischen“ auf Kosten der Türken in Deutschland und in der Türkei.
Eine Studie des Zentrums für Türkeistudien (ZfT) in Essen aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass die öffentliche Meinung in Deutschland zum EU-Beitritt der Türkei gespalten ist. Viele sehen die Bedingungen für einen Beitritt noch nicht erfüllt. Die türkische Gemeinde in Nordrhein-Westfalen kann dem nur teilweise zustimmen. „In der Türkei hat sich in den vergangenen Jahren politisch eine Menge getan“, weiß Züleyha Demir. „Für uns ist klar: Wir gehören in die EU“, sagt Mustafa Okur. Neben dem Dazugehörigkeitsgefühl spielen aber auch handfeste wirtschaftliche Interessen – wie beispielsweise eine Freihandelszone – eine Rolle, sagt Dirk Halm vom ZfT. Außerdem gebe es neben den EU-Befürwortern auch Türken, die den Beitritt wegen der mangelhaften Menschenrechtslage skeptisch sehen.
Bülent Arslan sieht die Diskussion von der sachlichen Ebene auf eine emotionale abgleiten: „Für viele Türken ist der EU-Beitritt schon zu einer Ehrenfrage geworden.“ Auch seine Partei dürfe die Tür der Türkei zur EU nicht ganz schließen. Doch der Spalt, den die Tür offen bleibt, dürfe auch nicht zu groß zu sein.