Merkel auf Staatsbesuch: Die Eurokrise reist nach Kanada
Beim ersten Staatsbesuch in Kanada erwartet Kanzlerin Angela Merkel Kritik und Ärger. Deutschland fordert Unterstützung, die die Kanadier nicht geben wollen.
OTTAWAW taz | Eigentlich könnte es locker zugehen, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel frisch erholt zu ihrem ersten bilateralen Besuch in Kanada antritt. Aber selbst das traditionell unbeschwerte deutsch-kanadische Verhältnis hat zuletzt unter der Eurokrise gelitten.
Die Bundesregierung ärgert sich, dass sich Kanada neben den USA als einziges G-20-Land bislang nicht finanziell an den internationalen Bemühungen zur Rettung des Euro beteiligt. Die Kanadier wiederum halten der Kanzlerin vor, ihrer Führungsrolle in Europa nicht immer gerecht zu werden.
Kurz bevor die G-20-Staaten im Frühsommer über eine Ausweitung des IWF-Rettungsschirms entscheiden wollten, wuchs die Verstimmung. Da las der deutsche Botschafter in Ottawa den Kanadiern offen über die Presse die Leviten – ein diplomatisch ungewöhnlicher Schritt. „Wir finden es etwas irritierend und enttäuschend, dass Kanada sich so hartnäckig weigert zu helfen“, sagte der Botschafter der überregionalen Tageszeitung Globe and Mail. „Größere Probleme in der Eurozone hätten auch direkte Auswirkungen auf Kanada, daher ist Solidarität nötig.“
Die Solidarität aber bleibt aus. Kanadas Premierminister Stephen Harper glaubt, die Europäer seien reich genug, um sich selbst zu helfen, und weigert sich, der EU mit Steuergeldern zu helfen. Sein Finanzminister nennt die Sozialstaaten der Eurozone „aufgebläht“. Entschieden stemmt sich Kanada gegen die auch von Merkel befürwortete Finanztransaktionssteuer.
In Kanadas Presse wird die Rolle Merkels zusehends kritisch gesehen. „Europa braucht keine deutsche Panzerfaust, sondern eine Kanzlerin, die endlich von ihren Prinzipien ablässt“, schrieb der bekannte Wirtschaftsjournalist Eric Reguly in der Globe and Mail und drückte damit aus, was viele in Ottawa denken: Nur Deutschland sei finanziell in der Lage, die Eurozone zu retten, tue aber zu wenig dafür.
Die Eurokrise überschattet auch das seit Jahren verhandelte Freihandelsabkommen zwischen EU und Kanada. Schon ist unsicher, ob das Abkommen wie geplant zum Jahresende fertig wird. Die Europäer etwa kritisieren die protektionistische Agrarpolitik Ottawas, die Kanadier wiederum wehren sich gegen das EU-Importverbot für Robbenprodukte und die geplante Kraftstoffrichtlinie, die kanadisches Öl aus Teersand teurer machen würde. Für die Kanadier liegt der Schlüssel zu Abkommen wie Eurokrise in Berlin. Sie hoffen, dass Angela Merkel ihn aus dem Urlaub mitbringt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland