Menschenrechtsverletzungen in Indien: Windpark im Regenwald
Im Wildschutzgebiet Bhimashankar entspringen fast alle großen Flüsse Südindiens, die Artenvielfalt ist riesig. Jetzt wird Regenwald zerstört – für Windenergie.
KUDE taz | Es ist kühl unter dem dichten Blätterdach, große Steine in einem trockenen Flussbett laden zur Rast ein. Die dichte Krone der Bäume bieten Schutz vor der sengenden Sonne.
Die abgeholzte, kahle Berglandschaft, die sich meilenweit um diesen Wald ausbreitet, heizt sich dagegen wie ein Backofen immer mehr auf, die meisten Pflanzen verdorren. Dieser von armdicken Lianen durchzogene, immergrüne Wald aber ist eine Insel voll Leben: Grillen zirpen, Vögel rufen, lautes Rascheln und Schreie verraten eine Horde Affen im Kronendach.
Das 130 Quadratkilometer große Wildschutzgebiet Bhimashankar ist rund 100 Kilometer nördlich von Mumbai fast 1.000 Meter hoch in den Western-Ghats-Bergen gelegen, ein Refugium für die seltenen Rieseneichhörnchen, Pfauen, Affen und Leoparden. Von einer Anhöhe schweift der Blick kilometerweit über eine braune, mit grünen Waldstücken gescheckte Berglandschaft. In der Ferne blitzen Dutzende Windkrafträder, die sich über die bewaldeten Bergkuppen erheben, in der Sonne.
Die Andhra Lake Wind Farm ist auf 142 Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 113 Megawatt projektiert. Die indische Forstbehörde hat dafür 194 Hektar Waldland zur Nutzung freigegeben. Der Investor China Light and Power, ein in Hongkong ansässiger Energieriese, lässt in Indien Windkrafträder aufstellen, die in Deutschland entwickelt und erprobt wurden. Die ausführende Firma ist ein Tochterunternehmen des deutschen Windkraftherstellers Enercon. Doch dieser verlor nach eigenen Angaben bereits 2008 die Kontrolle über den indischen Ableger. Im Dezember 2010 erklärte ein indisches Gericht einige ihrer Patente für ungültig. Zum Andhra Lake Wind Park erklärt Enercon gegenüber der taz: "Enercon hat von diesem Thema selbst erst aus den Medien Kenntnis erhalten. […] Mangels Einfluss auf Enercon Indias unternehmerische Entscheidungen trägt Enercon keine Verantwortung für das wirtschaftliche Handeln von Enercon India und dessen Folgen."
"Ein ausgewachsener Skandal"
"Was von weitem so schön aussieht, ist bei näherem Hinsehen ein ausgewachsener Skandal", sagt Atul Kale, Grundbesitzer und engagierter Journalist. "Die lokale Bevölkerung war von Anfang an gegen das Windkraftwerk. Sie haben verstanden, dass das Projekt ihre Lebensgrundlagen bedroht, ohne dass sie irgendeinen Vorteil aus dem Projekt ziehen könnten. Die sind ganz schön wütend. Während die Forstbehörde strikt darüber wacht, dass die Dorfbewohner keine Bäume fällen, zerstört die Windkraftfirma den Wald in großem Stil!"
Das Dorf Kude, nur wenige Kilometer außerhalb der Grenzen des Wildschutzgebietes, wird von 15 schlanken Windkraftanlagen gekrönt, die entlang der Kuppe eines nahen Berges stehen. Hier lebt die Hausfrau Suman Kanaskar. Stolz erzählt sie, dass wegen der Nähe zum Schutzgebiet häufig Pfauen und Rehe den Ort besuchten, manchmal sogar ein Leopard. "Aber seitdem hier dieser Windpark gebaut wird, sehen wir kaum noch wilde Tiere. Und die Vögel sind verstummt."
Mit Dynamit und Bulldozern
Kude ist einer von drei Standorten des Andhra-Lake-Windparks bei Bhimashankar. Die Firma Enercon India stellt hier 142 Windkraftanlagen auf. 18 Bergdörfer sind von dem Projekt betroffen. Im März 2010 begannen die Bauarbeiten: Mit Dynamit und Bulldozern werden Zufahrtsstraßen in die Berghänge getrieben und Fundamente für die Windräder ausgehoben. Damit die riesigen Rotorblätter und Generatoren an entlegene Orte gelangen können, mussten die Straßen für Schwertransporter verbreitert werden.
Die Bauarbeiten machen der Bevölkerung das Leben schwer. "Der Straßenverkehr ist sprunghaft gewachsen", klagt Bäuerin Suman Kanaskar. "Tieflader, Betonmischer und Lastwagen brausen durch unser Dorf. Der Staub, den sie aufwirbeln, setzt sich auf den Feldern ab, behindert die Befruchtung und verdirbt die Ernte. Normalerweise kann ich fünf Säcke Hirse ernten, aber in diesem Jahr habe ich nicht einmal einen Sack bekommen!"
Protest erstickt
Die Bauern von Kude protestierten gegen die Zerstörung ihrer Umwelt, aber der Bauherr habe den Protest erstickt, meint Atul Kale. Lokale Politiker betätigten sich als Handlanger der Firma Enercon India und würden Opponenten bestechen und bedrohen. Gegen einige der Aktivisten habe man Klagen vor Gericht eingereicht, um sie zum Schweigen zu zwingen. "Der Abgeordnete, der die Region im Landesparlament vertritt, trat zunächst vehement gegen die Windfarm auf, heute ist er ein glühender Befürworter. Regierung und Opposition, alle Parteien unterstützen hier das Windprojekt. Vielleicht werden sie von der Firma bezahlt?"
Über fast 2.000 Kilometer erstrecken sich die Western-Ghats-Berge entlang der ganzen indischen Westküste. Hier entspringen fast alle großen Flüsse Südindiens. Wissenschaftler stufen den Gebirgszug als einen der artenreichsten Lebensräume Indiens ein. Die UNO hat ihn als "biodiversity hotspot" klassifiziert, als einen von 18 Regionen der Welt, die nicht nur besonders artenreich sind, sondern auch unter hohem Druck durch menschliche Aktivitäten stehen. "Die Western Ghats sind einer der weltweit wichtigsten Lebensräume für wilde Verwandte unserer Nutzpflanzen", meint der renommierte Ökologe Madhav Gadgil. "Sie bilden ein genetisches Reservoir für Mango, Brotfrucht, Pfeffer, Kardamom und viele andere Gewürze."
Doch dieser einzigartige Lebensraum ist akut bedroht. Zwischen Mumbai und Goa sollen 16 große Kohlekraftwerke entstehen, neue Eisenbergwerke, mehrere Häfen sowie bei Jaitapur der mit 9.900 Megawatt größte Atomkraftwerkkomplex der Welt. "Kein Zweifel, die große Anzahl großer Industrieprojekte wird einen schädlichen Effekt auf die Ökologie der Region haben", meint Madhav Gadgil, der im Auftrag des Umweltministeriums die ökologischen Folgen untersucht. Dorfbewohner protestieren gegen die Großprojekte, weil sie sich um ihre Fischgründe, ihre Ackerböden, das Grundwasser, also um die Grundlagen ihrer Existenz sorgen.
Lebenswichtige Ressource
Etwa zehn Kilometer von Kude entfernt liegt die 500-Seelen-Gemeinde Karpud auf einem windigen Hochplateau. Die Bevölkerung besteht fast ausschließlich aus Nachfahren indischer Ureinwohner, hier Adivasi genannt. Für sie stellt der nahe Wald eine lebenswichtige Resource dar, sagt Ganpat Madage, ein Dorfältester: "Unsere Frauen gehen täglich zum Feuerholz-Sammeln in den Wald. Dort finden wir auch Heilkräuter, Wildfrüchte und Honig für den Eigenbedarf und zum Verkauf."
Ganpat Magade läuft zehn Minuten lang über abgeerntete Reisfelder zur Grenze des Gemeindelandes, dann steht er vor einer grünen Wand, der Grenze zum Wildschutzgebiet Bhimashankar. Saftiges Grün erstreckt sich von hier einen benachbarten Hang hinauf. Doch dort oben hüllen Staubwolken die Bäume ein. Auf einer neu angelegten, ungepflasterten Straße kriechen Betonmischer und schwere Lastwagen bergauf. An vielen Stellen liegt die Vegetation unter Geröllhalden begraben, der Wald lässt sich nur noch erahnen. "Die Firma baut Windkraftanlagen auf diesem Bergrücken", erklärt Ganpat Magade. "Sie hat bereits sehr, sehr viele Bäume gefällt. Seitdem können wir diesen Wald nicht mehr betreten. Die Wachleute der Firma verweigern uns den Zutritt."
Die Frauen von Karpud müssten statt früher einen Kilometer nun fünf Kilometer zurücklegen, um im Wald Feuerholz zu sammeln. Neben dem Verlust des Waldes sorgen sich die Bewohner vor allem um die riesigen Geröllhalden, die nun den Hang bedecken, sagt Ganpat Madage: "Am Fuße dieses Hanges liegen unsere Reisfelder. Bald wird der Monsun einsetzen, und hier in den Bergen regnet es sehr heftig. Wir befürchten, dass das lose Gestein dann bergab gespült wird und unsere Felder begräbt."
Die meisten der vom Windpark betroffenen Dorfbewohner sind Analphabeten, kennen kaum ihre Rechte, können nicht auf Augenhöhe mit der einflussreichen Windkraftfirma verhandeln. Die Firma macht sich diesen Umstand zunutze, um den Widerstand zu brechen, meint der Aktivist Atul Kale: "Wer Einwände und Proteste gegen das Windkraftwerk vorbringt, wird zum Schweigen gebracht. Lokale Politiker spielen dabei eine tragende Rolle. Wahrscheinlich sind sie in irgendeiner Form an dem Projekt beteiligt."
Wirkungsloser Baustopp
Atul Kale organisiert den Widerstand gegen das Kraftwerk, gibt den Dorfbewohnern eine Stimme. Im vergangenen Jahr reichte er Klage beim Hohen Gericht in Mumbai ein. Die Richter ordneten im Dezember 2010 einen Baustopp an, doch die Bauarbeiten gehen weiter, die Firma Enercon India schafft Tatsachen.
Wenn die indische Wirtschaft weiter wachsen soll, benötigt sie vor allem viel Energie. Heute wird das Gros der Stromproduktion aus Kohle gewonnen. Aber auch bei der Nutzung erneuerbarer Energiequellen mischt Indien ganz vorne mit. Bei der Nutzung von Windenergie beispielsweise liegt Indien weltweit auf Rang fünf. Aber ist es sinnvoll, schützenswerten Regenwald abzuholzen, um umweltschonende Windkraftanlagen aufzustellen? Atul Kale: "Ich bin natürlich auch für umweltschonende Energiegewinnung wie beispielsweise durch Windkraftanlagen. Aber warum muss man sie ausgerechnet hier, im dichten Regenwald aufstellen? Warum baut man sie nicht dort, wo das Land sowieso brach liegt?"
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