Menschenrechtler alarmiert: Mehr Entführungen in Tschetschenien
Das Russische Menschenrechtszentrum Memorial dokumentiert in seinem jüngsten Bericht 42 Entführungen in 2008. Dennoch blüht die Kaukasusrepublik auf.
BERLIN taz In der Kaukasusrepublik Tschetschenien haben die Entführungen wieder zugenommen. Zu diesem Schluss kommt das russische Menschenrechtszentrum Memorial in seinem jüngsten Bericht. Ende 2008 seien zehn Menschen entführt worden. Vier wurden wieder freigelassen, drei tot aufgefunden, und von vier weiteren fehlt seit der Entführung jede Spur. 2008, so Memorial, seien insgesamt 42 Menschen entführt worden.
Ende 2007 noch hatte Memorial berichtet, dass es erstmals weniger Entführungen in Tschetschenien gegeben habe. Waren 2002 noch über 500 Menschen Opfer von Entführungen geworden, so Memorial, waren es 2007 ca. 35 gewesen. Doch die Verringerung ist nicht unbedingt auf eine verbesserte Menschenrechtslage zurückzuführen. Vielfach scheuen sich die Verwandten aus Angst vor den Machthabern einfach, Menschenrechtsgruppen vom Verschwinden ihrer Angehörigen zu informieren.
2003, nach dem Ende des zweiten Tschetschenienkrieges, den die in der Nordkaukasusrepublik stationierten russischen Truppen im Bund mit tschetschenischen Bündnispartnern gegen die tschetschenischen Aufständischen gewonnen hatten, gab die russische Zentralmacht die Herrschaft an eine Moskau ergebene tschetschenische Elite ab. Präsident Ramsan Kadyrow ist sehr um das Image Tschetscheniens besorgt. Heute pulsiert das Leben in den Städten wieder. Aus dem zerbombten Grosny ist eine blühende Stadt entstanden. Auch der Flughafen ist wieder in Betrieb.
Kadyrow scheint es zu gelingen, seine einstigen Widersacher in die Machtstrukturen einzubinden. Im Frühjahr 2004 war der ehemalige Verteidigungsminister der Aufständischen, Magomed Chambiew, zu den tschetschenischen Regierungstruppen übergelaufen. Jedoch hatte Chambiew keine Wahl gehabt, nachdem seine Verwandten von Kadyrows Truppen in Geiselhaft genommen worden waren.
Als im August 2008 der Bruder von Magomed Chambiew und Exgesundheitsminister, Umar Chambiew, aus seinem italienischen Exil nach Russland zurückkehrte, hatte Ramsan Kadyrow seinen früheren Feind persönlich am Moskauer Flughafen Scheremetjewo in Empfang genommen. Eingefädelt worden war die Rückkehr Umar Chambiews von seinem Bruder Magomed im Auftrag von Kadyrow.
Dass Tschetschenen auch vor einer Verfolgung im Ausland nicht sicher sind, zeigt der jüngste Mord an einem tschetschenischen Asylbewerber in Österreich. Am letzten Dienstag wurde der 27-jährige Umar Israilow in dem Ort Floridsdorf auf offener Straße erschossen. Schon einmal, so der in Wien erscheinende Kurier, soll ein Killerkommando versucht haben, Israilow zu töten. BERNHARD CLASEN
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