Menschenrechte in Lieferketten: Friedrich Merz bekommt Gegenwind vom eigenen Vizekanzler
Dass der Bundeskanzler die EU-Lieferkettenrichtlinie abschaffen will, stößt dem Koalitionspartner auf. Und nicht nur dem: NGOs starten eine Petition.

Bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel hatte Merz am Freitag in zwei Pressekonferenzen gefordert, die europäische Lieferkettenrichtlinie abzuschaffen. „Wir werden in Deutschland das nationale Gesetz aufheben. Ich erwarte auch von der Europäischen Union, dass sie diesen Schritt nachvollzieht und diese Richtlinie wirklich aufhebt“, sagte der CDU-Politiker bei einer Pressekonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Im Koalitionsvertrag habe sich die neue Bundesregierung klar zur Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie bekannt, heißt es in einer Mitteilung der Initiative Lieferkettengesetz, einem Bündnis von mehr als 90 Organisationen – darunter Menschenrechtsorganisationen, Umweltverbände, Gewerkschaften sowie kirchliche und entwicklungspolitische Organisationen. „Dieses Versprechen bereits wenige Tage nach Amtsantritt infrage zu stellen, ist ein fatales Signal – an die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen, an den Koalitionspartner, ebenso wie an Unternehmen, die dringend auf verlässliche politische Rahmenbedingungen angewiesen sind und Planungssicherheit brauchen.“ In einer Petition fordern die Organisationen den Bundeskanzler auf, das Lieferkettengesetz zu verteidigen statt auf das Recht des Stärkeren zu setzen.
Am Montag hatte sich auch die EU-Kommission gegen die Forderung von Merz gestellt. Die Position der Kommission zur Lieferkettenrichtlinie sei öffentlich bekannt, es gehe um Vereinfachung, sagte eine Sprecherin der Behörde in Brüssel. „Es geht nicht darum, sie abzuschaffen.“
Gegenwind auch aus dem Europaparlament
Es habe nur wenige Tage gedauert, bis sich Kanzler und Vizekanzler in Brüssel auf offener Bühne widersprechen würden, sagte der stellvertretende Parteivorsitzende und Europa-Sprecher der Grünen, Sven Giegold. Das sei „entzaubernd“, so der Politiker. Merz hatte mehr Einigkeit in der Europapolitik der Bundesregierung versprochen.
Widerworte bekommt Merz auch von Europaabgeordneten seines Koalitionspartners. „Eine Abschaffung des EU-Lieferkettengesetzes liegt nicht auf dem Tisch“, sagte der Delegationsvorsitzende der SPD-Europaabgeordneten, René Repasi. Dies habe auch weder im Europaparlament noch unter den EU-Staaten eine Mehrheit. Man stehe Änderungen offen gegenüber, die Entlastungen für Unternehmen bedeuteten.
Das Ziel, Zwangsarbeit, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung einzudämmen, bleibe aber bestehen. Die Umsetzung des EU-Lieferkettengesetzes sei im deutschen Koalitionsvertrag beschrieben, betonte Repasi. Sein Parteifreund und SPD-Fraktionsvize für Wirtschaft im Bundestag, Armand Zorn, sagte: „Die Abschaffung der EU-Lieferkettenrichtlinie wäre aus meiner Sicht der falsche Weg.“
Das Europaparlament hatte Anfang April eine Verschiebung des europäischen Lieferkettengesetzes ermöglicht, um den Unternehmen mehr Zeit zu geben. Erste Regeln sollen nun voraussichtlich erst 2028 gelten.
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