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Archiv-Artikel

Mensch im Vakuum

Er beraubt Figuren ihres gemalten Ambientes und treibt ein subtiles Spiel mit Perspektive und Illusion: Gemälde und Cutouts von Alex Katz sind derzeit in den Deichtorhallen zu sehen

von PETRA SCHELLEN

In dieser Schau wird man ein bisschen paranoid: Da steht man nun, eingeklemmt zwischen Totem-Pfählen mit Köpfen und Figuren und weiß am Ende selbst nicht mehr, ob man 2- oder 3-D ist. Ein Spiel, das auch die Bewacher der Alex-Katz-Ausstellung in den Deichtorhallen spielen: Nicht nur, dass man sie ständig sieht, notgedrungen zwischen Katz‘ pappdünnen Cutouts hindurch. Auch scheint ihre auffällige Motorik auf die Furcht hinzudeuten, sie könnten, falls regungslos, in den 2-D-Raum hingezogen zu werden, der derzeit in den Südhallen wächst.

45 Arbeiten des amerikanischen Künstlers sind dort derzeit zu sehen – auf die Wand gesetzte Gemälde und etliche der derzeit zu Höchstpreisen gehandelten Cutouts. Skulptural und nicht-skulptural zugleich sind die anfangs auf Holz aufgezogenen, später aus Alu geschnittenen Figuren. Aus einem Gemälde, dessen Hintergrund ihm nicht gefiel, schnitt Katz 1957 seine ersten Figuren aus, zog sie auf, baute ihnen Ständer. Eine Methode, die sich mit der Zeit verselbständigte und Gestalten hervorbrachte, die den Betrachter auf sich selbst zurückwerfen: Wie würde sich der Homo sapiens sapiens gerieren, seines Ambientes beraubt, fragen die Hauchdünnen. Würden „herausgetrennte“ Menschen zu einem neuen Puzzle zusammenfinden oder würden sie hart aneinander schrammen?

Katz jedenfalls balanciert konsequent auf diesem Grat: Mal sucht er eine Gartenparty zusammenzustellen, mit Parlierenden, Rauchenden, Liegenden. Anderswo – bei Johns Loft – wirkt die Konstellation, als hätte man bunte Bälle auf eine Wiese geworfen, vage hoffend, dass sie ein Muster bilden mögen. Allzu psychologisierend geht der Künstler allerdings nicht vor: „Wichtig ist mir die Oberfläche“ sagt Katz, der Geburt und Tod von Illusion im selben Moment erschafft: Hat er gerade noch das traute Paar Joe und Jane (1960) gemalt, im (weggeschnittenen) Ambiente durchaus 3-D-kompatibel, nimmt er den Figuren all dies gleich wieder weg und setzt sie gegen kahle Deichtorhallen-Wände. Verändert sich so der Raum, wandelt sich die Wahrnehmung von Echtheit und Dimension? Tätigt Katz gar Anleihen bei folienhinterfangenen Ikonen und mittelalterlichen Heiligenbildern?

Vielleicht gipfelt Katz‘ Werk im Versuch, Malerei neu als Medium zu profilieren, das den Betrachter einlädt, die dritte Dimension selbst zu schaffen, die zwischen beide Seiteneines Cutouts gelegt werden muss. Denn Vorder- und Rückansicht von Katz‘ „Büsten“ sind nicht kongruent, und man wird irre an der nicht verifizierbaren Perspektivverschiebung.

Ein merkwürdiges Eigenleben entwickeln diese Gestalten, sind immer nah am Verschwinden – und nähren den fürchterlichen Verdacht, jeder von uns könnte ebenso durch-schaubar und über-sehbar sein. Und wieviel erfährt man wirklich über die Passfoto-Protagonisten, die so beredt schauen und zugleich alles verbergen? Wie wichtig sind die Porträtierten, die irgendwie herauswollen aus ihrer Welt?

Eine subtile Kritik am American Dream lagert in diesen Gestalten, deren ins Leere laufende Gesten Hilflosigkeit demonstrieren und in Belanglosigkeit münden: Ein Dead End, aus dem einen Katz durch das humorvolle Spiel mit der Täuschung wieder herausholt, indem er etwa ein riesiges Paar Beine aufstellt – gleich jenem schnellen Blick, den man in die Menge warf.

Vielleicht ist es diese halluzinatorische Mixtur einer in Atome zersägten Gesellschaft, die an dieser Präsentation so fesselt. Und die immer wieder mündet in die Frage, ob nicht jeder langsam zur eigenen Ikone gerinnt und sich mit Floskel gewordenen Gesten vor sich selbst verbirgt.

Alex Katz: Cutouts: Di–So 11–18 Uhr, Deichtorhallen; bis 27.4.