Memorandum Alternative Wirtschaftspolitik: Aufschwung heißt Spaltung
Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik geißelt in einem Memorandum den deutschen Export. Konkret fordert sie eine Abgabe für besonders Vermögende.
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BERLIN taz | Der deutsche Exportwahn ist das zentrale Thema des Memorandums 2012 der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. „Der Titel ’Deutschland als Exportweltmeister‘ hat Europa in die Krise geführt“, sagt Heinz-J. Bontrup, Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen. Zusammen mit Mechthild Schrooten, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Bremen, stellte er das Gutachten am Donnerstag vor.
Das Memorandum gilt als Gegengutachten zu dem des Sachverständigenrats der Bundesregierung, in dem die sogenannten fünf Weisen jährlich die Wirtschaftsentwicklung darstellen und Empfehlungen an die Bundesregierung geben. Der Arbeitsgruppe gehören Ökonomen und Sozialwissenschaftler aus Universitäten, Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen und Gewerkschaften an.
Zwischen 2000 und 2011 stieg der Warenexport Deutschlands um 78 Prozent. Das führe zu hohen wirtschaftlichen Ungleichgewichten in Europa, so Bontrup. Denn die Staaten, die im Gegenzug mehr importierten, müssten sich bei den Überschussländern verschulden. Die Bundesregierung setze den starken Export jedoch nur mit internationaler Wettbewerbsfähigkeit gleich.
Dabei übersehe sie, dass die deutsche Wirtschaft zugleich extrem abhängig davon sei, dass ihre Güter tatsächlich im Ausland abgenommen würden – was bei den derzeit in immer mehr europäischen Ländern herrschenden Rezessionen zum Problem werde. Die Arbeitsgruppe schlägt deshalb vor, die Binnennachfrage anzukurbeln.
Ausbau des Niedriglohnsektors
Auch in Deutschland führe der Aufschwung, der 2011 noch ein Wachstum von 3 Prozent gebracht hatte, zu einer Spaltung, so Bontrup. Er sei mit einem Anstieg der Teilzeitarbeitskräfte und einem Ausbau des Niedriglohnsektors erkauft. Die Schuldenbremse kommt bei der Arbeitsgruppe nicht gut weg.
Um die Schuldentilgung voranzubringen, müsse die Bundesregierung weniger bei den Ausgaben als vielmehr bei den Einnahmen ansetzen. Dazu könne beispielsweise die Vermögenssteuer wieder eingeführt werden, sagte Schrooten. Auch eine zusätzliche einmalige Vermögensabgabe könne beim Schuldenabbau helfen, heißt es im Memorandum.
Konkret fordern die Wissenschaftler: Über zehn Jahre sollen private Haushalte, die über ein Nettovermögen von 1 Million Euro verfügen, 2 Prozent davon abführen. Betriebe sollen ebenfalls ab einem Vermögen von 2 Millionen Euro zahlen. Dadurch sollen 300 Millionen Euro zusammenkommen, die an Bund, Länder und Kommunen abgegeben werden sollen.
15 Prozent sollen an die Kommunen gehen, in denen die Lage besonders angespannt ist: „Die können nach einem harten Winter nicht mal die Straßen reparieren“, so Bontrup. Die Forderung der Memorandum-Gruppe stößt dabei auf Zustimmung von der Initiative Vermögender, einem Zusammenschluss von Wohlhabenden.
„Vor drei Jahren waren wir nahezu die Einzigen, die eine solche Abgabe forderten, und wurden zum Teil nicht ernst genommen“, so der Mitinitiator Dieter Lehmkuhl. „Aber die Krise hat alte Denkmuster erschüttert.“ (mit afp)
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