Memoiren von Dylan-Muse Rotolo: Als sich die Zeiten zu ändern begannen
Eindringlich berichtet Rotolo über das Leben im Greenwich Village der sechziger Jahre und ihre Beziehung zu Pop-Ikone Bob Dylan.
BERLIN taz | Eine der besten Zeiten fürs Jungsein muss ungefähr 1961 gewesen sein, und die richtige Stadt dafür: New York, genauer: das Greenwich Village.
John Coltrane und Ornette Coleman spielten in Jazzclubs; Lenny Bruce und der junge Woody Allen erfanden ein Genre, das heute von den Mario Barths dieser Welt in den Dreck gezogen wird; der Beat-Poet Allen Ginsberg deklamierte durch seinen Bart hindurch Gedichte; und natürlich waren da all die alten Folksänger und eine ganze Legion von Woody-Guthrie-Wiedergängern. Der größte unter ihnen, Bob Dylan, trat fast täglich in Gerdes Folk City auf. Die Künstler lebten, wie es sich gehört, ein bohemehaftes Leben in einer wenig bohemehaften Welt, die dann von der Kubakrise ebenso durchgerüttelt wurde wie vom Attentat auf US-Präsident John F. Kennedy. Es war eine Zeit, der noch immer die prüde Moralvorstellung der 50er eingeimpft war und die Kommunistenhetze der McCarthy-Ära nachhing, in der es aber doch schon ein bisschen nach Aufbruch und Protest roch. 1968 war nicht mehr weit. Es muss großartig gewesen sein: jener Moment, kurz bevor es richtig losging.
"Als sich die Zeiten zu ändern begannen", so betitelt Suze Rotolo ihre "Erinnerungen an Greenwich Village in den Sechzigern". Suze Rotolo, das ist die junge Frau, die an einem kalten Wintermorgen im Februar 1963 Arm in Arm mit Bob Dylan eine schneevermatschte Straße entlangspazierte: Ein Foto dieses hübschen Paars zierte wenig später das Cover des Albums "The Freewheelin Bob Dylan", jenes Werk, das den Songwriter schon mal Richtung Olymp schubsen sollte, auf dem er dann Mitte der 60er tatsächlich ankam.
17 Jahre alt ist Rotolo, als sie den 20-jährigen Bob Dylan, "eine Mischung aus Harpo Marx und Woody Guthrie", kennen lernt. Ihre Familie war einst aus Italien in die neue Welt eingewandert; sie wächst in Queens auf, politisch links sozialisiert, der Vater ist in der Gewerkschaft, arbeitet bei der Setzmaschinenfirma Mergenthaler und nebenher als Illustrator.
Kunst und Politik spielt in dieser Welt eine große Rolle, und für Rotolo gibt es keinen Zweifel, dass sie sich nicht mit etablierten Rollenmustern arrangieren würde. Dylan, ein Kleinstadtgewächs, ist fasziniert von dem Kosmos, der ihm auch durch Suze Rotolo eröffnet wird: Theater, Kunst und Musik - vieles von dem, was seine jugendliche Freundin ihm zeigt, wird in Songtexte einfließen. Rotolos Mutter und ältere Schwester können den stilbewussten Sänger allerdings nicht ausstehen. "For her parasite sister I had no respect", heißt es später in dem Dylan-Song "Ballad In Plain D", "bound by her boredom, her pride to protect."
Die richtigen Probleme zwischen den beiden beginnen aber erst, als Dylans Ruhm über das Village hinauswächst, als er zur Heilsgestalt einer ganzen Generation zu werden droht. Rotolo möchte nicht nur das Mädchen an seiner Seite sein. Sie entwickelt früh ein feministisches Bewusstsein und eigene künstlerische Ambitionen, sie verbringt ein halbes Jahr in Italien, worunter Dylan furchtbar leidet - einige zitierte Briefe aus dieser Zeit illustrieren das auf anrührende Weise.
Und als sie schon kein Paar mehr sind, fährt Rotolo mit einer Studentengruppe nach Kuba, trifft Che Guevara und Fidel Castro, obwohl die Regierung in Washington ein Reiseverbot verhängt hatte. Ihr Erinnerungsbuch würde es zwar ohne den Mythos Dylan nicht geben - aber es trägt nicht unnötig zur Legendenbildung bei. Sie schildert wunderbare kleine Szenen, etwa wie Dylan Stunden vor dem Spiegel zubrachte, um das richtige Outfit zu finden und den coolsten Gesichtsausdruck einzustudieren.
Tatsächlich aber versucht Rotolo mit ihrem Buch, das Lebensgefühl einer Umbruchszeit und die von kommerziellen Erwägungen noch kaum berührten künstlerischen Energien festzuhalten. Das Vorbild ihrer Memoiren ist Joyce Johnsons "Minor Characters" - die Autobiografie einer Frau, die im Inner Circle der von genialischen Männern dominierten Beat Generation ihre eigene Identität finden wollte.
Rotolos Spurensuche ist kein sensationeller Wurf mit überraschenden Details über young Bob, aber ein weiteres, wunderbar unverstelltes Kapitel über den Vorabend der Kulturrevolution in den sechziger Jahren, eine schöne Ergänzung zu Dylans "Chronicles".
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